Beitragvon Sisi Silberträne » 15.12.2007, 01:24:25
So, hier kommt gleich mal das erste Kapitel. Irgendwie bin ich nicht zufrieden damit...
Kapitel 1
Fünfzehn Jahre waren seit jenem Morgen vergangen, an dem die McKennas einen Schatz auf ihrer Türschwelle gefunden hatten. Aus dem Baby mit den sagenhaft dunklen Augen war ein großer schmaler Junge geworden. Charlotte McKenna hatte sich immer Kinder gewünscht, doch sie konnte keine bekommen. Darum war sie umso dankbarer für die Wendung des Schicksals, die ihr und ihren Mann Adam einen Sohn beschert hatte. Die Eheleute dachten deshalb nie weiter darüber nach, woher er gekommen war.
Alex McKenna lief an den Wohnhäusern vorbei in Richtung Hauptplatz, in der Hand hielt er seine Schulbücher. Es war einer der ersten milden Tage nach dem Winter, überall zeigte sich frisches Grün. Der fünfzehnjährige Junge mochte die Natur und die Tiere, er konnte stundenlang durch Wälder und Wiesen stromern. Mit seinen dunkelblonden Haaren und den fast schwarzen Augen war er hübsch, und man sollte meinen ebenso bliebt, doch dem war nicht so. Die anderen Kinder mieden Alex, denn er war anders. Er ließ manchmal, wenn er aufgeregt war, Dinge geschehen. Einmal zum Beispiel, als drei größere kräftigere Burschen auf ihn losgingen, waren sie plötzlich durch die halbe Klasse und gegeneinander geflogen. Seitdem wagte es kaum einer mehr, Alex zu nahe zu kommen, wenn es sich vermeiden ließ.
Natürlich war nachmittags niemand zu Hause. Alex’ Eltern arbeiteten, sein Vater war Barbier, er besaß einen Laden in der Stadt, und seine Mutter betrieb ein kleines Café am Hauptplatz im Freien. Genau dorthin wollte er jetzt, um zu Mittag zu essen und seine Hausaufgaben zu erledigen. Er war ein sehr fleißiger Schüler, der beste in seiner Klasse, und las obendrein gerne, wenn er nicht durch die Natur wanderte.
„Hallo Ma“, rief er gut gelaunt, als er seine Mutter hinter den Kochtöpfen erkannte. Wie immer um diese Zeit hatte sie viel zu tun, die meisten Tische waren besetzt.
Seine Mutter, eine kleine kräftige Frau mit roten Locken lächelte ihm zu. „Ah, da bist du ja. Magst du Hackbraten?“
Er nickte, als er auf dem kleinen Tisch gleich neben der Kochecke Platz nahm, und schon tischte ihm seine Mutter eine ordentliche Portion auf.
„Lass es dir schmecken. Wie war es in der Schule?“ Sie wuschelte ihm durch das dunkelblonde Haar.
„Ma bitte“, brummte Alex daraufhin. „Es war interessant. Nächste Woche soll übrigens jeder ein Foto von sich als Kind mitbringen, wir werden damit eine Collage machen. Gibst du mir heute Abend eins von mir?“
Charlotte McKenna nickte leicht. „Ja sicher. Irgendwo müsste im Schrank in der Stube eins sein, ich such es dir.“
Während er sich über sein Mittagessen hermachte, beobachtete sie ihren Ziehsohn nachdenklich. Lange hatten Adam und sie es vor sich her geschoben, doch nun war es an der Zeit ihm die Wahrheit zu sagen. Er war auf dem Weg ein Mann zu werden und alt genug dafür. Bestimmt hatte er sich längst darüber gewundert, wie unähnlich er seinen Eltern äußerlich war.
So kam es, dass Charlotte McKenna an diesem Abend eine langwierige Unterhaltung mit ihrem Mann Adam führte, und Alex danach nicht nur das Foto reichte, um das er gebeten hatte, sondern mit sehr ernster Miene auch einen zusammen gefalteten Brief.
Ratlos blickte der Junge seine Eltern an, als er das Papier auseinander faltete. Er öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, doch seine Mutter machte eine abwehrende Handbewegung.
„Bitte lies den Brief erst. Danach kannst du alles fragen was du möchtest“, sagte sie unsicher dessen, wie er auf den Inhalt der Nachricht reagieren würde.
Während Alex las, wurde sein Gesichtsausdruck immer ungläubiger. Ihm war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Fünfzehn Jahre lang hatte er ein Leben gelebt, in das er gar nicht hinein geboren worden war.
Mit diesem Brief bitte ich Sie für meinen Jungen zu sorgen und ihn zu lieben als den Sohn, den Sie ersehnen. Er soll sicher und geborgen groß werden. Geben Sie ihm einen Namen, meine Bitte ist nur, dass sein zweiter Name Fiyero nach seinem Vater lauten möge. Ich danke Ihnen von Herzen.
Nachdem Alex die Worte zum dritten Mal gelesen hatte, glitten seine Finger über die teils verwischten Zeilen. Die Handschrift war geschwungen und größtenteils gleichmäßig, nur manchmal schien die Hand der Verfasserin gezittert zu haben. Jetzt erkannte er auch den Ursprung der Flecken, die die Tinte manches Mal zum Verlaufen gebracht hatten. Tränen. Sie hatte geweint beim Schreiben… diese unbekannte Frau, die seine Mutter sein sollte.
Nein, sie war nicht seine Mutter, denn die saß ihm gegenüber. Die liebevolle Frau, die für ihn da gewesen war, so lange er sich zurück erinnern konnte. Von wem auch immer dieser Brief stammte, sie hatte ihn nicht haben wollen als Sohn!
„Ich… ich wusste gar nicht, dass ich einen zweiten Namen habe“, sagte er nach einer langen Weile des gedrückten Schweigens. „Alex Fiyero McKenna… was ist denn das überhaupt für ein eigenartiger Name?“
Sein Vater zuckte die Schultern. „Jedenfalls keiner, den wir jemals zuvor gehört haben. Ich hoffe du kannst uns auch jetzt noch als deine Eltern betrachten? Deine Mutter und ich, wir lieben dich von ganzem Herzen.“
Alex sah erst seinen Vater mit gemischten Gefühlen an. „Aber Pa, ihr werdet immer meine Eltern sein, du und Ma. Sie wollte mich offensichtlich nicht haben.“
Seine Mutter legte ihm behutsam die Hand auf den Arm. „Alex, sei bitte nicht voreilig. Bestimmt war sie verzweifelt und die Entscheidung dich aufzugeben, wird ihr nicht leicht gefallen sein.“
Er nickte nur, bestimmt hatte seine Mutter recht. Schnell wünschte er seinen Eltern eine gute Nacht und ging nach oben in sein Zimmer. Im Moment wollte er allein mit seinen Gedanken sein. Den Brief hatte er mitgenommen, und starrte nun erneut auf die Schrift darauf.
Je länger er darüber brütete, desto mehr begann die Neugier in ihm zu brennen. Wer war diese Frau, die vor fünfzehn Jahren unter Tränen die Worte geschrieben hatte? Weshalb war sie so verzweifelt gewesen, dass sie keine andere Möglichkeit gesehen hatte, als ihn, ihr Kind zu verlassen?
Im Grunde musste er ihr dankbar sein. Es ging ihm gut, er hatte eine wundervolle Familie bekommen. Aber noch etwas beschäftigte ihn. Lag es an ihr, seiner richtigen Mutter, dass er manchmal Dinge geschehen ließ?
Diese Fragen ließen Alex nicht mehr los. Zwei Wochen nachdem er den Brief erstmals gelesen hatte, traf er eine Entscheidung. Er würde keine Ruhe mehr finden, bis er nicht wusste, wer die Frau war, die ihn zur Welt gebracht hatte, und welche Umstände dazu geführt hatten, dass er nicht bei ihr aufgewachsen war. Er wollte sie suchen um ihr all die Fragen zu stellen, die ihm auf der Seele brannten. Aber wo sollte er anfangen? Der einzige Hinweis, den er besaß, war Fiyero, der Name seines leiblichen Vaters.
Weil in dem Städtchen fast jeder jeden kannte, war es ausgeschlossen, dass seine Mutter aus der Umgebung stammte. So begann er auf gut Glück die Leute nach der Zeit vor fünfzehn Jahren zu fragen. Den Greißler, den Schmied, den Wirt, nur nicht seine Eltern. Noch sollten sie nicht erfahren, dass er nach seinen Wurzeln suchte. Schließlich fragte er auch Reverend Cooper, einen aufmerksamen Mann, der die Bewohner der Stadt vermutlich besser kannte als die meisten anderen.
„Vor fünfzehn Jahren, sagst du?“ Der Reverend musterte den Burschen nachdenklich. „Ich erinnere mich an keine Frau, die damals ihr Kind verloren hätte… aber warte mal. Da war ein Wanderzirkus in der Stadt, für kurze Zeit im Sommer. Wenn ich recht überlege könnte das vor fünfzehn Jahren gewesen sein.“
Alex horchte auf. „Waren Sie dort? Erinnern Sie sich an irgendjemanden von den Leuten? Bitte sagen Sie mir alles was Ihnen einfällt.“
„Ich habe mir die Vorführung angesehen, aber ich erinnere mich kaum, es ist schon so lange her. Nur an eine Frau, ich hatte noch nie zuvor einen Menschen mit einer solchen Hautfarbe gesehen. Sie war grün.“
Die Aussage verwirrte den Jungen. Er stellte danach noch die ein oder andere Frage, doch Neues erfuhr er nicht mehr. Nur dass die Zirkusleute damals wohl den Weg in den Norden zu größeren Städten genommen hatten, wo sich mehr Geld verdienen ließ. Trotzdem dankte er dem Reverend überschwänglich, bevor er nach Hause ging. Dieser Jahrmarkt war eine erste richtige Spur. Die jähe Überzeugung, dass seine Mutter damals mit dem Zirkus umher gezogen war, ließ ihn nicht mehr los. Er wusste allerdings nicht, wie ihn finden sollte, wenn er nach so langer Zeit überhaupt noch existierten. Vielleicht war seine Mutter aber auch gar nicht mehr dabei. Vielleicht war sie inzwischen gestorben und er verrannte sich in eine Sackgasse. Dennoch wollte er zumindest den Versuch unternommen haben, sie aufzuspüren.
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Sisi Silberträne am 16.12.2007, 14:36:16, insgesamt 4-mal geändert.