Danke euch!
Wochenendfortsetzung, zweiter Teil...
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Inzwischen saß Anne immer noch in ihrem Zimmer und weinte. Sie würde weinen, bis keine Tränen mehr kommen würden… aber würden die Tränen überhaupt irgendwann versiegen? Im Moment glaubte sie nicht daran.
Sie hatte das Kind verloren, wegen einer Vergiftung. Ausgerechnet als sie sich sicher gewesen war, dass alles wieder gut werden würde. Sie hätte am liebsten alles und jeden verflucht, vor allem Nathalie, die sie immer noch als Hauptschuldige an ihrer Situation sah. Deswegen schon diese kritische Bemerkung, sie hätte ein schlechtes Gefühl gehabt. Und deswegen auch das Wasser aus der Feldflasche, die Nathalies Mann einmal gehört hatte.
Es klopfte.
Wahrscheinlich war das wieder Madeleine. Mit der wollte sie sich nicht unterhalten.
„Verschwinde!“ rief Anne. „Lass mich alleine!“
Sie zog sich die Bettdecke über den Kopf. Nichts sehen, nichts hören… am liebsten wäre es ihr gewesen, dass sie auch nichts mehr fühlte. Warum musste sie denn alles was schrecklich war, überleben? Warum hauchte sie nicht einfach ihr Leben aus? Egal was war, ihr war es nicht vergönnt, zu sterben, sie musste ständig Schicksalsschläge überleben. Sie hatte die Nacht mit dem Kardinal überlebt. Sie hatte die erste Nacht in der Bastille überlebt. Sie hatte die Folterung überlebt, wenn auch nur knapp, aber da hatte ihr der Kardinal das erste Mal geholfen. Sie hatte die Brandmarkung überlebt. Und jetzt auch noch die Vergiftung und den Verlust des ungeborenen Kindes.
So viel Leid und Schmerzen… mit nicht einmal 16 Jahren.
Und Madeleine, die das genaue Gegenteil von ihr war, kam immer irgendwie davon. Es war alles so ungerecht.
Dann fiel ihr etwas anderes ein. Nicht einmal 16... nein, das stimmte nicht. Inzwischen war sie 16. Heute musste ihr Geburtstag sein. Wie deprimierend. Wäre sie bloß nicht schon wieder aufgewacht. Sie war sechzehn und ihr einziges Geschenk war eine schlechte Nachricht.
Es klopfte ein zweites Mal.
„Hau ab!“
rief Anne und sah wieder unter ihrer Decke hervor. Eigentlich hasste sie diese Ausdrücke, aber vielleicht würde ihre Schwester das besser verstehen. Sicherheitshalber fügte sie hinzu: „Zieh Leine, verschwinde, mach eine Fliege und… (ihr fiel nichts mehr ein) … scher dich endlich weg!“
Stille.
Gleich darauf hörte sie draußen aber eine Stimme. „Lasst es mich einmal versuchen, Mademoiselle.“ Und dann die gleiche Stimme etwas lauter: „Anne? Was ist los? Madeleine hat gesagt, es würde dir nicht so gut gehen. Ich habe von deinem Zusammenbruch gehört und mir Sorgen gemacht. Darf ich eintreten?“
Das ist… Anne glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben.
Das ist doch wohl nicht wahr! Woher wusste denn der Kardinal, was ihr zugestoßen war?! Von wem hatte er erfahren, dass sie zusammengebrochen war?
„Antworte. Nichts ist so schlimm, dass du es nicht doch irgendwie überstehst.“
Genau das habe ich mir auch gerade gesagt, ich überlebe einfach alles, dachte Anne.
„Anne, du machst doch keine Dummheiten, oder?“
Sie setzte sich wieder auf.
„Nein, keineswegs, Eure Eminenz. Und selbst wenn, würde es nichts bringen. Ich würde es bestimmt wieder überleben, egal was ich mir antue.“ antwortete sie resignierend.
Der Kardinal auf der anderen Seite der Tür sagte nicht gleich etwas.
„Willst du lieber wieder alleine sein? Ich kann auch gehen und wieder herfahren, wenn es dir wieder besser geht.“
„Nein, ist schon in Ordnung. Tretet ein, Eure Eminenz.“
kapitulierte Anne.
Warum sollte sie ihn auch wegschicken? Er hatte ein Recht zu erfahren, was geschehen war.
10 Jahre später - - - Teil 10
Wenn man so über alles nachdenkt, fiel Milady auf einmal auf,
ist das ab der Entdeckung zwei Monate nach meiner Brandmarkung doch alles extrem merkwürdig gelaufen…
Denn erst hatte der Kardinal es darauf angelegt, ihr Leben zu zerstören – nach ihrer Offenbarung war er aber wie ausgewechselt gewesen. Und als sie ihn dann erst nach einiger Zeit erst wieder gesehen hatte - - - nun, da war er genauso hinterhältig gewesen wie sonst auch immer. Was hatte ihn nur dazu gebracht, seine Meinung zu ändern?
Ihre Gedanken schweiften zu etwas anderem ab. Dem Grund, warum sie eigentlich hergekommen war… nämlich Nadine Chauvistré zu begleiten. Wie es ihrer „Schicksalsgefährtin“, der bedauernswerten Nichte der Eminenz, die ebenfalls schon Schreckliches durchgemacht hatte, wohl gerade ging?
Darum wollte sich Richelieu unbedingt mit mir unterhalten, dass Rochefort mit ihr anstellen kann was er will… ich muss mal sehen, ob ich sie finde. Ich hab eigentlich schon genug Zeit verschwendet …
Milady stand abrupt auf und hatte es eilig, aus dem Zimmer herauszukommen.
„Wo wollt Ihr denn so schnell hin, Madame?“
traten ihr sofort die Wachen in den Weg und richteten sogar die Waffen auf sie.
„Nehmt gefälligst die Waffen da weg“, herrschte Milady sie ungehalten an, „ich hab doch überhaupt nichts verbrochen. Und außerdem heiße ich Milady de Winter, das heißt, ich habe ein Recht, so angesprochen zu werden und nicht Madame.“
Die Kardinalswachen ließen sich jedoch wieder einmal nicht beirren.
„Meint Ihr, wir lassen uns von Euch was sagen? Wir handeln nur im Auftrag Seiner Eminenz. Der Kardinal hat Befehl gegeben, dass Ihr das Zimmer nicht verlassen dürft.“
- „Ach je, und was er sagt ist Gesetz, oder? Er kann mich doch nicht einsperren lassen…“
„Und ob ich das kann.“
Richelieu war um die Ecke gebogen und hatte Miladys letzte Sätze gehört.
„Aber ich mache es nicht. Unter einsperren lassen verstehe ich im Übrigen was anderes, das wissen zum einen Wachposten, die Befehle ignorieren, Musketiere, die sich mit meinen Wachen duelliert haben, Attentäter…“
…
und vermutlich auch zu Unrecht Angeklagte, denen wegen Verführung eines gewissen Teufels in Kardinalsrot eine ungerechte Gerichtsverhandlung mit Folge einer Brandmarkung droht, führte Milady die Aufzählung in Gedanken fort.
Die neue Bezeichnung für den Kardinal war ihr ganz plötzlich eingefallen, aber natürlich sagte sie das nicht.
„Jetzt aber genug geredet und keine Ablenkungen durch andere mehr. Keine Sorge, Milady, Ihr müsst nicht länger in dem Zimmer bleiben.“ Er nahm ihren Arm und führte sie in das Arbeitszimmer zurück, damit die Wachposten nicht gleich mitbekamen, um was es ging. „Wir gehen jetzt gleich woanders hin, wo es sich etwas besser unterhält… Ihr wart doch bereit, die Gegenleistungen zu erfüllen?“
Milady blieb ganz ruhig.
Dass der Kardinal jetzt wieder damit anfangen würde, war vorauszusehen gewesen.
„Ja.“
stimmte sie zu.
„Alles was Ihr wollt“, antwortete sie gelassen und fügte, um diese Worte noch zusätzlich
zu unterstreichen, noch hinzu: „Ich tue alles, was Ihr von mir verlangt, mon cardinal.“
Richelieu sah sie verwundert an.
Natürlich hatte er mit so einer Antwort gerechnet, aber das war doch etwas… ungewöhnlich.
„Was habt Ihr gerade gesagt?!“
- „Alles was…“ begann Milady zu wiederholen, aber er unterbrach sie.
„Das habe ich verstanden. Ich meinte das danach.“
- „Ach, Ihr meint das mon cardinal?! Ich hab gedacht, das wäre eine gute Idee. Ist nicht ganz so förmlich und nicht so vertraut wie der Vorname.“ Sie sah ihn fragend an. „Oder belassen wir es doch besser bei Eure Eminenz?“
Der Kardinal winkte ab.
„Nein, so schlecht klingt das gar nicht; da könnte ich mich gerade dran gewöhnen.“
Milady lächelte.
Gewöhnt Euch aber nicht zu sehr daran… Eminenz, dachte sie bei sich.
„Aber erst sollten wir anstoßen. Auf eine baldige Rücknahme des vergangenen Urteils.“
Milady trat an den Schreibtisch, nahm in Ermangelung des zweiten Weinglases, die Weinflasche und gab Richelieu sein eigenes Glas.
„Das werden wir sehen“, erwidert der Kardinal. „Wie auch immer – zum Wohl, Milady de Winter.“
„Auf Euer Wohl, Eminenz!“
erwiderte Milady immer noch gelassen.
Dieses Mal schwang in ihren Worten deutliche Ironie mit, aber der Kardinal schien dies gar nicht zu bemerken. Unbeirrt trank er als erstes von dem Wein in seinem Glas, während Milady ganz undamenhaft einen Schluck aus der Flasche nahm.
„Wollt Ihr wissen, warum ich vorhin aus dem Zimmer gegangen bin?“ fragte Milady auf einmal. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Weil ich von Euch immer allein gelassen werde. Und dieses Mal konnte ich nicht abwarten, ich hatte solche Sehnsucht nach Euch…“
Jetzt übertreibe es doch nicht so dermaßen, ermahnte sie sich selbst.
Sonst kann es sein, dass er dir das alles nicht mehr glaubt, und das wäre doch zu schade…
„Außerdem hab ich mir Sorgen um Eure Nichte gemacht.“ fügte sie der Begründung für ihren Fluchtversuch dann noch vorsichtshalber die Wahrheit hinzu. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich sie einfach mit Rochefort habe mitgehen lassen.“
„Was macht Ihr Euch eigentlich Sorgen um Nadine? Das hat Euch doch gar nicht zu interessieren.“ wunderte sich Richelieu und trank noch einen Schluck.
„Oh doch… wie gesagt, ich habe sie in der Herberge getroffen und wir haben uns etwas über die Vergangenheit unterhalten. Ich habe ihr von dem erzählt, was ich so alles durchgemacht habe, und sie von den gewissen scheußlichen Geheimnissen zwischen ihr, Rochefort und Euch.“
Milady hielt kurz inne.
„Das habe ich vorhin gemeint, das so verabscheuenswürdig ist. Wie konntet Ihr das nur tun? Ich verstehe es nicht… nur deswegen bin ich eigentlich mitgekommen, um auf sie aufzupassen…“
„Das hat wohl nicht ganz geklappt, nicht wahr?“ Richelieu grinste fies.
Er wollte noch etwas sagen, aber im gleichen Moment fiel ihm etwas auf.
Irgendetwas stimmte nicht… warum war es ihm denn plötzlich so merkwürdig zumute? Er hatte irgendwie schon eine Vermutung, aber das konnte eigentlich nicht sein.