Nach meinem ersten Besuch in St. Gallen war ich ja schon der Meinung, dass das Musical unbedingt mal in Tecklenburg gespielt werden muss, weil es super auf diese Bühne passen würde. Die ersten Bilder und Berichte klangen schon sehr vielversprechend, aber live ist es nochmal beeindruckender! Tecklenburg übertrifft sich mal wieder selber! Aber ob man jede Änderung gut heißen muss, sei mal dahin gestellt.
Wie immer zeigt die Regie, wie man gekonnt auch ohne Vorhänge und Prospekte arbeiten kann. Die ersten Opfer können sich hier nicht hinter dem Vorhang parat legen, weswegen das Stück nun gleich mit einer Schlacht anfängt. Was in St. Gallen als Projektionen daher kam, wird nun von den Rollen selber dargestellt. So sieht Morgana im Hintergrund ihre Vision, indem sie Merlins Aufklärung von Artus vorne quasi zusieht. Ähnlich funktioniert es mit der Vision vom unerlaubten Liebespaar, das direkt neben Artus und Morgana gespielt wird. Und wenn Merlin bei Morgana im Schloss ist und ihr die Vision von Artus´ Krönung zeigt, wird auf der Hauptbühne natürlich genau diese vorbereitet.
Dazu kommen Handlungen, die in St. Gallen noch eigene Szenen hintereinander waren, und hier (fast) parallel gespielt werden. So erlebt Guinevere vom Rand aus Morganas 2. Solo und will Artus warnen. Merlin küsst Morgana direkt nach dem Schlusston von „Alles ist vorbei“. Damit wird eigentlich immer und überall eine Verbindung zwischen den Geschehnissen erzeugt, die eine hohe Erzähldichte entstehen lässt.
Dies führt auch dazu, dass einige Darsteller im Laufe des Stücks ganz schön laufen dürfen. Da geht Artus schon mal rechts hinten von der Bühne ab, um kurz darauf rechts neben dem Publikum wieder runter zu kommen. Auch Lancelot und Merlin dürfen gerne mal quer über das Gelände, ohne viel Zeit zu haben.
Am meisten Kondition brauchte allerdings Guinevere, nachdem sie Artus näher gekommen war. Sie lief nämlich links die Rampe zum großen Tor runter, als Artus laut „Halt!“ rief, sie zurück gerannt kam und er sie nach ihrem Wohnort fragte. Dieses Spielchen mit dem runter Rennen, Halt Rufen und wieder lachend hoch Rennen wiederholte sich noch weitere zwei Male und wurde zu der meistbelachten Szene des Abends. Die beiden habe es aber auch genial umgesetzt!
Eine gute Idee war es auch, die Walküren als Wesen aus dem Jenseits einzuführen. Diese lassen die Gefallenen aufstehen und führen sie dann ins Reich der Toten. Bei der entscheidenden Schlacht stehen sie oben. Senkt eine ihren Speer, dann fällt unten der nächste Krieger.
Auch bei den Requisiten gab es kreative Ideen. Die Tafelrunde wird von den Rittern kurzerhand aus ihren Schilden zusammengebaut. Das Bett in „Alles ist vorbei“ besteht rein aus Darstellern, die die Protagonisten in die entsprechenden Lagen heben. Hut ab vor der artistischen Leistung des Ensembles!
Im Zuge der Regieeinfälle wurden die beiden Soli Morganas getauscht. Ob dies nun so entscheidend ist, sei mal dahin gestellt. Der Umbruch zwischen dem rockigen „Schwert und Stein“ und dem ruhigen „Die Rose“ ist erstmal heftig. Sicher ist das Lied eher dazu geeignet, Morgana mehr Sympathien (Mitleid) beim Publikum zu entlocken. So ganz funktioniert die Umstellung aber doch nicht, da direkt im Anschluss doch noch auf den lateinischen Teil von „Sünden der Väter“ zurück gegriffen wird. Im zweiten Akt funktioniert der Tausch fließender.
Auch am Text wurde etwas gefeilt. Die meisten kleineren Änderungen, die nun etwas geradliniger klingen, dürften den meisten Menschen, die die „alte“ Version nicht im Kopf haben, vermutlich nicht bemerken.
Eine größere Änderung gibt es im Lied „Was will ich hier“: die Wiederholung der Zeilen „Sag, welcher Vater verstößt seine Tochter, verlässt den eigenen Sohn? - Fass wieder Mut und vergiss jetzt Leiden und Frohn!“ in den Strophen 2 und 3. Der einzige Unterschied ist, dass die erste Zeile in der zweiten Strophe von Morgana alleine, in der dritten Strophe von Morgana und Artus zusammen gesungen wird.
Auch eine größere Überarbeitung hat der letzte Dialog zwischen Artus und Merlin erfahren. Der komplette Teil über Merlins plötzliches Altern ist gestrichen, inklusive der Aussage, dass ein Merlin auch sein Leben für seinen König gibt. Leider darf Artus nun fragen, ob er die Schlacht gewinnen und Lancelot zurück kommen wird. Beides wird von Merlin auch noch positiv beantwortet. Damit ist leider unklar, warum Artus im nächsten Moment von seinen Zweifeln singt, wo er doch gerade noch stolz „Wir werden siegen!“ brüllte. Und die Überraschung, dass Lancelot in der Schlacht auftaucht, ist ebenfalls dahin. Schade.
Überhaupt wurde die Rolle des Merlins deutlich verändert, der nun klar ein Druide ist und vom Priester klar als solcher („Das ist der Druide Merlin.“) vorgestellt wird. In St. Gallen hieß es noch, er sei „ein Merlin“, womit unklar blieb, wer oder was er denn genau sei. Hier passt seine Rolle genau in die Zeit des Geschehens, was besonders im 2. Akt gut funktioniert. Denn nun ist eher nachzuvollziehen, dass er selber im „Kreis der Menschheit“ steckt, da er bodenständiger wirkt.
Diese Umgestaltung der Rolle zieht aber ein paar Konsequenzen nach sich, die mal mehr, mal weniger gut funktionieren.
Ausgerechnet das Schwert Excalibur taucht hier nun von Zauberhand im Stein auf. Wo Merlin es in St. Gallen selber in den Stein gerammt hat, steht Merlin hier und am vorderen Rand und zaubert mit seiner Hand das Schwert hinter ihm hervor. Eigentlich müsste man diese Szenen in beiden Versionen tauschen, dann passten sie gut zu den jeweiligen Rollenportraits.
Leider geht das Verhältnis zwischen Morgana und Merlin etwas unter. In Camelot wurde der Eingangsdialog der beiden über Morganas schwarze Magie auf ein überraschtes „Morgana!“ Merlins beschränkt. Begehren findet im violett angestrahlten Untergeschoss der Hauptbühne statt, das plötzlich als sein Reich herhalten muss. Bis dahin hatte Merlin gar keinen eigenen Ort. Dummerweise lenken die Tanzpaare (siehe unten) auch noch von deren Auseinandersetzung ab.
Ganz umgedeutet ist der Kuss zwischen Merlin und Morgana. Merlin altert nicht wirklich danach. Der einzige Unterschied ist anschließend der Stab, auf dem er sich abstützt. Der Grund für den Kuss scheint nun eher ihre Verführungskunst zu sein, denn die Rettung des Königreiches, zumal die Erklärung im späteren Dialog mit Artus auch noch fehlt (siehe oben).
Merkwürdig muten die zwei Tanzeinlagen an, die bei „Ein neuer Tag“ und „Begehren“ hinzugefügt wurden. Während man bei „Begehren“ die Idee hat, die zwei Tanzpaare stellen gerade den Kampf mit der Begierde dar, bleibt die Bedeutung bei „Ein neuer Tag“ im Verborgenen. Hier kommt die Schwierigkeit hinzu, dass das Tanzpaar von einer Walküre und Lucan dargestellt werden. Sie legt zwar Helm und Speer ab, entwaffnet und entkleidet Lucan etwas, aber sie sind halt weiterhin in ihren Rollen zu erkennen. (Neben mir wurde vermutet, dass beide seinen Tod tanzen.) Für mich sieht es eher so aus, als ob man den Solorollen in dem Moment nicht zugetraut hat, die große Bühne zu füllen.
Insgesamt scheint der Fokus der Produktion auf der guten Seite zu liegen, denn neben dem wenig ausgereiften Verhältnis zwischen Morgana und Merlin geht auch Loth von Orkney verhältnismäßig unter. Sein Sohn ist immer wieder sehr präsent, er selber taucht in wenigen Szenen auf, die dann (irgendwie passend) am Rand spielen, auch wenn sein Schloss die ganze Zeit über zu sehen ist. Dafür hat auf der guten Seite selbst Lucan auf dem hier längeren Weg zu Guinevere, den er locker fröhlich singend hüpft, mehr Chancen, einen sympathischen Eindruck zu hinterlassen.
Die Positionierung der Spielorte ist naheliegend und schlüssig. Natürlich ist die Hauptbühne das Schlachtfeld und Ort von Camelot. Die Throne stehen oben auf der zweiten Ebene, Loth´s Schloss steht am linken Rand und rechts ganz oben ist das Reich der Toten.
Die Kostüme sehen durchweg zeitgemäß aus und lassen klar erkennen, wer zu welcher Seite gehört. Lancelot hat als Herausstellungsmerkmal ein Doppelschwert bekommen, das er auf dem Rücken trägt. Nette Idee.
Die Schlachtszenen sind optisch ein Leckerbissen, besonders die Wechsel zwischen Zeitlupe und echtem Kampftempo wirken beeindruckend.
Beeindruckend sind in Tecklenburg natürlich auch die Massenszenen, weil durch die Laiendarsteller wirklich eine Masse auf der Bühne steht. Allerdings mag der Begriff „Laien“ gar nicht so richtig passen, weil die Darsteller voll eingebunden sind. Sie haben (besonders bei der Hochzeit) Choreografien mitzutanzen, die nicht gerade einfach wirken. Einige von ihnen sind auch als Bauern-Ritter in die Schlachten eingebunden und kämpfen voll mit. „Nur“ die Bühne füllen ist wahrlich nicht ihre Aufgabe.
Besonders beim „Feld der Ehre“ am Anfang des Stücks kommt die Wirkung der vielen Stimmen zum Tragen. Die Chorpassagen, die von allen gesungen werden, kommen mit einer Wucht daher, dass alleine dieser Stimmteppich schon für Gänsehaut sorgt! Es tut mir leid, aber dagegen klang es in St. Gallen doch eher wie die Sparausgabe.
(Anmerkung: Eine Mitarbeiterin der Freilichtspiele sagte mir vor der Vorstellung, der Intendant aus St. Gallen sei dort gewesen und vor Neid erblasst. Nach dem (!) ersten Lied konnte ich das verstehen.)
Einzig zu Beginn von „Nur sie allen“ könnte man den Taktstock auch etwas schneller bewegen. So war das Lied anfangs doch etwas sehr schleppend.
Was mich persönlich mal interessiert, ist die genaue Instrumentierung. Genau wie in St. Gallen erklingen für den keltischen Klang in einigen Liedern Instrumente, die man üblicherweise nicht in einem Orchester hört. Über die musikalische Seite muss man bei 27 Musikern nicht viel sagen. Es klingt wundervoll!
Zur Besetzung kann ich nur sagen, dass alle ihre Rollen exzellent ausfüllen. Ich mag eigentlich keinen besonders hervorheben, da alle ihre Szenen zu nutzen wissen und ihre Charaktere schön detailliert ausfüllen. Unterschiede sind klar rollen- und regiebedingt (siehe oben).
Aber: Einen Namen muss ich doch noch einzeln erwähnen: Armin Kahl! Mit welch detaillierter Gestik und Mimik er seine Rolle ausfüllt, wie sicher er seine Stimme durch die unterschiedlichsten Emotionen führt, sich sicher durch die Choreografien bewegt und das mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz, ist schlicht fantastisch! Hier ist jemand ein heißer Kandidat, der nächste „größte Darsteller Deutschlands“ zu werden! Seine Leistung letztes Jahr in Cats war bereits enorm, aber mit Artus hat er nun eine Rolle, die ihm wie auf dem Leib geschnitten ist! Den Herrn sollte man definitiv weiter auf dem Plan haben!
Abschließend kann ich sagen, dass es definitiv nicht mein letzter Besuch in dieser Produktion war!
Die Besetzung:
Artus: Armin Kahl
Guinevere: Milica Jovanović
Merlin: Kevin Tarte
Morgana: Roberta Valentini
Lancelot: Dominik Hees
Ector: Thomas Schirano
Priester: Sebastian Brandmeir
Loth von Orkney: Christian Schöne
Sir Gareth: Thomas Hohler
Mutter und Oberin: Anne Welte
Lucan: Andrea Luca Cotti
Uther Pendragon: Zoltán Fekete
Igraine: Spphie Blümel
Tristan: Marco Herse Foti
Bedwyr: Mathias Meffert
Kay: Fin Holzwart
Lamorac: Wolfgang Postlbauer
Ensemble:
Lisa Kolada, Juliane Bischoff, Spphie Blümel, Jennifer Kohl, Marthe Römer, Joyce Diedrich, Anna Carina Buchegger, Alexandra Hoffmann
Jan Altenbockum, Andrea Luca Cotti, Zoltán Fekete, Marco Herse Foti, Andrew Hill, Fin Holzwart, Mathias Meffert, Wolfgang Postlbauer, Luciano Mercoli, Sebastian Brandmeir, Christian Schöne
Orchester , Chor und Statisterie der FreilichtSpiele Tecklenburg