Gaefa hat geschrieben:Oh schon wieder ein neuer Teil, Wahnsinn! Wie machst du das? So regelmäßige neue Teile - bewundernswert!
Danke
Ich versuch einfach, jeden Tag zu schreiben - ist ja eh mein größtes Hobby neben dem Theater.
Ich war total nervös, als wir über den Teppich auf die Treppe zugingen. Es lag eine Dreistigkeit in unserem Vorbeigehen am Schild
Zutritt nur für Gäste, dass es fast schon lustig war. In einer Sitcom hätte sich dieser Augenblick bestimmt gut gemacht. Ich lief völlig von Sinnen vor Angst neben Anja her, aber die ging völlig auf in diesem Schwindel. Die Pagen an der Türe nickten und grüßten uns freundlich, und sie lächelte und nickte einfach zurück. Wir gingen einfach durch die geöffneten Türen und landeten in einer großen Eingangshalle. Es war irgendwie dämmrig, leises Klaviergeklimper ertönte von irgendwo her, zusammen mit einem eigenartigen Rauschen und dem Klingen von Löffeln an Tassen. Und leises, gesetztes Stimmengewirr. Wir gingen langsam weiter, mit großen Augen staunend, und ich erinnere mich, dass sich von dem Tresen schräg rechts eine Gestalt löste.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte der rot gekleidete Hotelmitarbeiter. Etwas hilflos starrte ich zu Anja, die sich gerade auf ein Gespräch mit einem Gast einließ.
„Ich...“, begann ich, „äh…“
Er deutete meine Unsicherheit falsch. „Die Toiletten“, begann er leise, „befinden sich…“
„Nein, schon gut. Ich wollte sagen – meine Freundin dort und wir… Sehen uns nur ein wenig um.“
Ein leicht misstrauischer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht, und er betrachtete mich genauer. „Sagen Sie, sind Sie hier Gast?“
„Äh…“
„Aber natürlich sind wir das!“ Anja kam auf ihn zu und hielt ihm galant die Hand hin. Ihre Stimme war laut und aufdringlich, und ich schämte mich für sie. Was sollte dieser Auftritt? Schüchtern sah ich mich nach der Frau um, mit der sie geredet hatte. Sie sah reichlich verdutzt aus.
„Sehen Sie ruhig nach, Junge“, sagte Anja von oben herab. „Mrs. Van Hopper, Sie werden sehen, dass wir heute Morgen erst eingecheckt haben.“ Sie legte sogar einen englischen Akzent auf. Ich konnte nichts weiter als glotzen und mich nervös fragen, was wohl passieren würde. Würde man die Polizei rufen? Tausend skurrile Szenen tanzten vor meinem inneren Auge.
„Mrs. Van Hopper?“, wiederholte der Page. Er klang nicht überzeugt.
„Aber ja. Sag mal, in welchem Hotel sind wir hier gelandet?“ Sie sah mich ungeduldig an.
„Hier ist das Adlon, Mrs. Van Hopper“, antwortete ich leise. Ich hatte mich dazu entschieden, das ganze Theater einfach mitzuspielen.
„Du lieber Himmel!“, rief sie so schrill, dass einige Gäste neugierig aufsahen. „Wir wohnen doch im Ritz! – Es tut mir außerordentlich leid, Junge. Na komm, komm schon!“ Sie drehte sich um und lief nach draußen, und ich eilte ihr nach, kurz vor einem monumentalen Lachanfall. Atemlos überquerten die Straße, blieben stehen, sahen uns an – und brüllten vor lachen.
„Sein Gesicht!“, rief ich, „hast du sein Gesicht gesehen?“
„Und die Gäste!“, erwiderte sie. „Total entgeistert!“ Sie wischte sich einige Lachtränen weg und beruhigte sich langsam. Nach und nach stieß der Rest unseres Ensembles zu uns, und wir berichteten ihnen haarklein von unserem Erlebnis. Natürlich zogen wir es etwas ins Lächerliche.
Und trotzdem wurde mir eines klar. Ich hatte gerade eine einmalige Erfahrung gemacht: ohne es zu wollen, war ich mit meiner Rolle verschmolzen. Ich erkannte es erst, als wir auf dem Rückweg waren. Es begann langsam zu regnen, und Anja holte mich ein. Schweigend liefen wir für eine Weile nebeneinander her. Hatte sie mir helfen oder einfach nur Spaß haben wollen? Was auch immer – sie hatte mir auf jedenfalls geholfen. Sehr sogar. Diese Peinlichkeit dieses einen, nicht enden wollenden hilflosen Momentes… Das alles machte mir klar, wie schwer meine Rolle an ihrer Unsicherheit zu tragen hatte. Ich sah Anja an.
„Danke“, sagte ich, aber sie lächelte nur.
Es waren noch genau zwei Monate bis zur Premiere am 16. Dezember, als Alice uns mit Neuigkeiten konfrontierte, bei denen mir das Herz in die Hose rutschte: die Premiere sowie die beiden darauffolgenden Spieltermine waren komplett ausverkauft. Ich stand gerade auf der Bühne und machte Atemübungen. Unruhig ließ ich meinen Blick durch die vielen, noch leeren Reihen vor mir gleiten. Wie würden sie wohl aussehen – gut gefüllt? Stimmen überall, Händeklatschen, wenn das Licht ausging… Ich starrte Marius an, aber der schien ganz gelassen. Ich beschloss, dass es zu früh für Lampenfieber war, und versuchte mich auf unsere Proben zu konzentrieren – was an diesem Tag aber auch alles andere als einfach war. Alice arbeitete gerade an der Beziehung zwischen Maxim und Ich, und nach langen gemeinsamen Interpretationen waren wir nun schon so weit, dass wir uns an
Kein Lächeln war je so kalt wagen konnten.
„Okay, dreißig Minuten Pause!“, rief Alice, und ich war reichlich erleichtert über den Aufschub. Ich nahm mir ein paar Kekse aus der Box, in der wir verschiedene Lebensmittel horteten (die nicht immer so gesund waren, wie sie taten), und verzog mich auf Platz 14 in Reihe 3, mein Stammplatz. Wieder und wieder las ich das Skript durch.
Maxim: Sieh’ mich an. Das Kind in deinen Augen ist verschwunden.
Ich:
entschlossen Ja. Ich werde nie mehr ein Kind sein.
Maxim:
nach einer kurzen Pause; erschöpft Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?
Ich: Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr!
Sie fallen sich in die Arme und küssen sich.
Ich nagte an meinem Daumen und lugte durch die Reihen. Marius war natürlich nicht zu sehen, und ich wusste auch nicht, wie ich mit ihm darüber reden sollte. Allerdings huschte Muriel gerade durch die Reihe vor mir.
„Hm, Muriel?“, rief ich. „Kannst du mir vielleicht helfen?“
Sie ließ sich auf den Sitz neben mir fallen. „Was gibt’s?“
Ich hielt ihr stumm das aufgeschlagene Heft hin.
„Ganz ehrlich“, sagte ich, „ich habe keine Ahnung, wie ich… Ich meine, ich muss ihn doch irgendwie fragen, wie das für ihn okay ist, oder? Ich will nicht prüde wirken, aber, na ja…“
Sie gab mir das Skript zurück. „Manchmal ist es besser, nicht darüber zu reden“, sagte sie nach einer kurzen Pause. „Es ist doch wie im echten Leben: ihr sprecht euch vorher nicht ab, ihr küsst einfach.“ Sie lachte über diesen Vergleich. „Du musst es natürlich für dich entscheiden, aber… Ich weiß aus Erfahrung, dass gerade dieses Absprechen furchtbar unsicher macht. Es passiert nicht mehr einfach so, sondern wirkt… kontrolliert. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Marius und Alice nichts darüber gesagt haben.“
Ich seufzte. „Danke, Muriel“, sagte ich, auch wenn ich noch nicht sicher war, was ich mit diesem Rat anfangen sollte.
Die Pause ging vorüber, und glücklicherweise erschien die Choreographin und holte das Ensemble ab, um mit ihnen
Strandgut zu proben. So war ich wenigstens diese Augenpaare los.
Wir spielten die Szene, und ich fühlte mich ganz gut dabei. Ich versuchte einfach, ganz meiner Rolle nachzufühlen, und mit Marius, der wirklich fabelhaft verzweifelt und wütend und fertig mit sich und der Welt war, konnte ich gar nicht anders. Er riss mich wirklich mit. Alice unterbrach uns nicht, als mein gefürchteter Dialog kam. Marius stand vor mir, in sich zusammengesunken.
„Sieh mich an“, sagte er leise und hob mein Kinn mit den Fingern an. „Das Kind in deinen Augen ist verschwunden.“
„Ja“, sagte ich fest, und er ließ mich los. „Ich werde nie mehr ein Kind sein.“
Er wandte sich ab, und sein Gesicht wurde abermals eine Maske von hilfloser Verzweiflung.
„Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?“ Völlig am Boden zerstört. Von sich selbst angeekelt.
„Ich liebe dich!“, rief ich. „Ich liebe dich so sehr!“
Er sah mich an und fiel mir in die Arme, und dann musste ich plötzlich kichern. Ich kam mir dabei furchtbar albern vor, aber meine Anspannung, die ich für ein paar kostbare Minuten völlig vergessen hatte, kehrte wieder zurück.
„Oh nein, Entschuldigung!“, sagte ich und merkte, dass ich rot wurde.
„Noch mal ab
Kannst du mir ins Gesicht sehen“, rief Alice unbeeindruckt von ihrem Platz aus.
„Sorry, tut mir leid“, murmelte ich zerknirscht, aber Marius winkte ab. Er nahm wieder seine Position ein, und ich auch.
„Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?“, wiederholte er. Ich sah ihn an. „Ich liebe dich!“, rief ich. „Ich liebe dich so sehr!“
Diesmal klappte es tatsächlich. Wir fielen uns in die Arme und küssten uns, und es war nicht halb so schlimm, wie ich gedacht hatte. Natürlich hatte Alice noch einige Dinge zu perfektionieren, und wir spielten die Szene so lange, dass sie wie alle anderen zu einer Art unbeständiger Routine wurde. Sogar der Kuss war irgendwann nur noch ein Kuss. Nichts wirklich besonderes. Wir lachten sogar darüber, wenn es komisch wurde. Das ist wichtig – alles ins Lächerliche ziehen, um sich nicht zu schämen. Und wieder einmal ging ich mit dem beflügelnden Gefühl nach Hause, über mich hinausgewachsen zu sein.