Mich trägt mein Traum

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Gaefa
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 09.06.2014, 20:38:13

Schöner Teil, wenn auch am Schluss wieder recht summarisch geschrieben. Ich muss gestehen, dass ich das Lied, das sie vorgesungen hat, auch nicht kenne... Eine kleine Anmerkung noch: Ich glaub von Hannover bis Berlin lässt sich auch ganz gut mitm Zug fahren, da muss kein Flugzeug herhalten, aber okay ;)
Ich bin gespannt, was daraus wird. Aber ich hab da so eine Ahnung. Sag mal, was sagen eig ihre Freunde / ihr Freund dazu? Oder hat sie für die alle keine Zeit mehr?
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 09.06.2014, 22:44:53

Gaefa hat geschrieben:Ich glaub von Hannover bis Berlin lässt sich auch ganz gut mitm Zug fahren, da muss kein Flugzeug herhalten, aber okay ;)

Meine Erdkunde-Kennntnisse sind leider sehr unterirdisch :oops: danke für den Hinweis!
Gaefa hat geschrieben:Sag mal, was sagen eig ihre Freunde / ihr Freund dazu? Oder hat sie für die alle keine Zeit mehr?

Kommt noch ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 09.06.2014, 22:51:40

Ophelia hat geschrieben:
Gaefa hat geschrieben:Ich glaub von Hannover bis Berlin lässt sich auch ganz gut mitm Zug fahren, da muss kein Flugzeug herhalten, aber okay ;)

Meine Erdkunde-Kennntnisse sind leider sehr unterirdisch :oops: danke für den Hinweis!
Gaefa hat geschrieben:Sag mal, was sagen eig ihre Freunde / ihr Freund dazu?


*g* ich hatte so die Vermutung, dass es nen ICE auf der Strecke gibt und tada: Bahn.de sagt, dass man von Hannover bis Berlin 1:40 Std braucht ohne auch nur einmal umzusteigen - da lohnt sich das ganze Einchecken am Flughafen gar nicht für ;)
Ich wohn ne Bummelbahn-Zugstunde von Hannover entfernt, deshalb konnte ich mir die Strecke ganz gut vorstellen ;) Nächstes Mal einfach mal google.maps oder bahn.de befragen!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 11.06.2014, 11:50:20

Gaefa hat geschrieben:*g* ich hatte so die Vermutung, dass es nen ICE auf der Strecke gibt und tada: Bahn.de sagt, dass man von Hannover bis Berlin 1:40 Std braucht ohne auch nur einmal umzusteigen - da lohnt sich das ganze Einchecken am Flughafen gar nicht für ;)
Ich wohn ne Bummelbahn-Zugstunde von Hannover entfernt, deshalb konnte ich mir die Strecke ganz gut vorstellen ;) Nächstes Mal einfach mal google.maps oder bahn.de befragen!

Werd ich nächstes Mal tun :) Hier der nächste Teil:

Ich erwachte in einer seltsamen, zufriedenen Stimmung und hellwach. Ich konnte förmlich spüren, dass ich lange und tief geschlafen hatte. Trotzdem blieb ich noch eine Weile liegen und beobachtete die Schatten, die auf dem Teppich mit dem Sonnenlicht tanzten. Es war herrlich still.
Nur langsam begriff mein Kopf, der wohl noch irgendwo in einem Traum war, dass etwas nicht stimmte. Sonnenlicht – um halb sieben? Lange geschlafen – obwohl ich erst um halb eins aus Berlin zurückgekehrt war? Stille – obwohl es doch morgens immer so turbulent zuging in der WG und mein Wecker laut klingelte? Bei diesem letzten Gedanken durchzuckte der Schreck mich regelrecht. Der Wecker! Ich hatte ihn nicht gestellt! Wie der Blitz war ich auf den Beinen und starrte auf die Uhr.
„Oh nein!“, stöhnte ich. Es war nach neun. Ich legte einen regelrechten Sprint im Bad hin, sparte mir das Frühstück und trommelte gegen die Türen des Busses, bis er mich doch noch einsteigen ließ. Trotzdem erreichte ich die Schule erst um viertel vor zehn. Vor dem Tor blieb ich stehen. Wir würden um zehn Uhr Pause haben. Besser, ich ließ mich bei Parkers Schauspielstunde gar nicht blicken.
Ich vertrödelte meine Zeit, indem ich mir in unserer Cafeteria etwas zu Essen holte, und fing meine Klasse auf dem Weg zu den Sporträumen ab.
„Wo warst du?“, fragte Sarah fassungslos.
„Ich hab’ total verschlafen“, gestand ich beschämt. „Bin vor ’ner Stunde erst aufgewacht.“
„Kann ich irgendwie verstehen. Seit Anfang des Schuljahres hab ich kaum noch Zeit für mich. Aber erzähl lieber, wie die Audition war!“
Ich beschrieb in wenigen Sätzen, was ich erlebt hatte, und es war für alle Zuhörer ernüchternd.
„Kein Lob?“, fragte Jamie.
„Keine Kritik?“, fügte Marvin hinzu.
„Und kein Tipp, ob sie dich vielleicht wollen?“, ergänzte Michael.
„Nein, nichts.“
Wir sahen uns an, und Jamie zuckte die Schultern. „Dann heißt es wohl warten.“

Ja, es hieß warten, und zwar eine Woche lang. Meine Nervosität erlaubte es gar nicht, dass ich noch einmal verschlief, außerdem wies ich meine Mitbewohner an, mich zu wecken, falls ich nach sieben Uhr immer noch nicht aufgestanden sein sollte.
Wir probten fleißig an unserer Grease-Choreographie, und wir wurden immer besser. Ein frenetischer Aufschrei ging durch die Runde, als unsere Lehrer uns eröffneten, dass wir für die Präsentation originalgetreu nachgemachte Kostüme erhalten würden. Solche Ereignisse lenkten mich immer wieder von der Frage ab, wie die Jury sich entscheiden würde.
Die Antwort kam eine Woche später. Ich hatte gerade Stepptanz und versuchte verzweifelt, den neuen Schritten zu folgen. Unser Lehrer, ein renommierter Stepptänzer, hatte uns mitgeteilt, dass wir eine Choreographie aus 42nd Street einüben wollten – ich war mir nicht sicher, ob ich es als Drohung oder als Geschenk ansehen sollte. Ich war heillos überfordert, als die Tür sich öffnete. Es war Mrs. Paige. Sie und unser Lehrer wechselten ein paar Worte, dann nickte er und wandte sich wieder uns zu.
„Anouk, würden Sie mich bitte begleiten?“, sagte Mrs. Paige. Irrationalerweise war meine erste Befürchtung, dass sie mich wegen meiner Verspätung letzte Woche rügen wollte. Ich folgte ihr mit laut klappernden Schritten, und mehrere Male sah sie reichlich genervt auf meine Schuhe. Schließlich landeten wir in ihrem Büro. Frau Kurth hielt dort gerade Stellung am Telefon. Als sie mich sah, sagte sie: „Ich muss Sie leider unterbrechen, aber Frau Steger ist gerade angekommen. – Ja, vielen Dank. – Aber natürlich. Es ist uns immer wieder eine Ehre.“
Ich hatte erst gedacht, es sei etwas passiert – ein Unfall daheim, eine Krankheit, aber das wäre sicher keine Ehre. Meine Ahnungslosigkeit wich einer Vermutung, als ich den Hörer entgegennahm. Leider versäumte es jeder der Anwesenden (die inzwischen aus Mrs. Paige, Frau Kurth, dem Schulleiter und Parker bestanden), mir zu sagen, wer am anderen Ende der Leitung war.
„Anouk Steger?“, meldete ich mich also unsicher und sah in die Runde. Ich hasste es, vor anderen zu telefonieren.
„Guten Tag, Frau Steger, Hoffmann mein Name.“ Sagte mir nichts. „Ich bin der Produktionsleiter von Rebecca.“ Aha. Mein Herz begann Kapriolen zu schlagen, aber ich wagte nicht, das undenkbare zu glauben. Ich starrte benommen aus dem Fenster.
„Ah. Hallo“, erwiderte ich. Denk nicht mal dran, mach dir keine Hoffnung… Rufen sie bei einer Absage auch an? Wieso rufen sie überhaupt in der Schule an? Tausend stumme Fragen.
„Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass wir Sie über die Schule informieren, aber wir hielten es für wichtig, Ihren Lehrern Ihren Erfolg mitzuteilen und noch einmal nachzufragen, ob auch alles geklärt ist. Es wäre doch zu schade, wenn wir Ihnen mitteilen, dass Sie genommen sind, und dann stellt sich heraus, dass das gar nicht so abge – “
„Moment“, unterbrach ich. „Sagten Sie gerade… genommen?“
„Allerdings.“
Ich schwieg, und er deutete das als Zeichen, dass er einfach weiterplappern konnte. „Ich gratuliere Ihnen, Frau Steger. Die Jury hat sich dazu entschieden, dass Sie die Rolle der Ich, der späteren Mrs. De Winter, spielen sollen.“
„Oh Mann“, sagte ich. Ich wusste, es konnte nichts anderes sein als ein Traum. Der Telefonhörer in meiner Hand war warm und klebrig, und Mrs. Paiges Augen ruhten beredt auf mir, als ich ihnen mitteilte, dass ich nichts lieber machen würde als Teil ihres Ensembles zu werden.

Ich nahm die Glückwünsche, in die sich bereits jetzt tausende Ratschläge mischten, meiner Lehrer noch etwas benommen entgegen. Die Tatsache, dass ich in einem echten, großen Musical eine Hauptrolle spielen sollte, wollte mein Gehirn noch nicht richtig verstehen.
„Und nun laufen Sie und überbringen Ihren Mitschülern die gute Nachricht!“, sagte Parker. Ich nickte und verließ den Raum und ging langsam den Gang hinunter, mit laut klappernden Schritten. Ich stellte mir vor, wie meine Mitschüler reagieren würden, und plötzlich konnte ich es nicht abwartend, ihnen alles zu erzählen. Ich zog mir die Schuhe von den Füßen und rannte los, auf bloßen Füßen durch die leeren Gänge. Atemlos riss ich die Türe zum Sportraum auf. Meine Mitschüler, ordentlich in Reih und Glied, starrten mich verwirrt an, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Alles okay mit dir?“, fragte Jamie nach ein paar Sekunden.
„Ich glaube schon“, antwortete ich und betrat langsam dem Raum. „Ich bin… Ich werde in Rebecca spielen. Als Ich“, sagte ich.
Hinter mir fiel die Tür ins Schloss, und meine Mitschüler fielen über mich her und überhäuften mich mit Glückwünschen.
In diesem Moment erinnerte ich mich an Mrs. Paiges Willkommensrede: dass wir Freunde, keine Konkurrenten sein sollten.
Bisher klappte das ja ganz gut.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 11.06.2014, 13:14:43

Ein schöner Teil! Ich freu mich für Anouk - genau wie alle anderen auch :) Ich bin gespannt, was so auf die zukommt. Rebecca ist ein tolles Stück, ich hätts zu gern mal live gesehen. Und ich muss gestehen, dass ich mir Rebecca auch für die Protagonistin meiner Geschichte ausgeguckt hatte, aber da komm ich ja eh nie hin, bis es mal soweit ist ;)
Ich bin auf Anouk als "Ich" gespannt und natürlich auch die Proben.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 12.06.2014, 20:55:13

Die aufregende Rebecca-Zeit beginnt mit diesem neuen Teil!:

Ich weiß nicht, was ich ohne meine Lehrer machen sollte. Sie unterstützten mich und überließen mir gleichzeitig so viel Verantwortung, wie nötig war. So gelang es mir, ein billiges Hotelzimmer, das eigentlich nur ein winziges Appartement war, zu mieten. Mit meiner Gage würde ich es bezahlen können. Meine Lehrer berieten mich, und meine Mitschüler waren fast so euphorisch wie ich. Einen Tag vor meiner Abreise organisierten sie sogar eine Abschlussfeier. Jeder brachte eine Kleinigkeit mit, und nach einer Weile stieg Jamie auf den Tisch zwischen Kuchen und Salat und schlug so heftig gegen sein Glas, dass es knackte.
„Alle mal herhören!“, rief er, und die Gespräche verstummten langsam. „Anouk hat sich entschieden, an uns vorbeizupreschen und die große Weltbühne zu erobern!“
Ich verdrehte die Augen. „Übertreib nicht“, murmelte ich, aber er sprach ungestört weiter.
„Wir sind uns alle einig, dass diese bombastische Feier eine Belohnung verdient.“ Er sah mich an. „Abgesehen von vielen Berichten und Fotos fordern wir natürlich…“ Er machte eine dramatische Pause, ehe er rief: „Freikarten für die Premiere!“
Während die anderen lachten und jubelten, konnte auch ich ein Grinsen nicht unterdrücken.
Und dann war der große Tag da.
Es war Verwirrung pur für mich, plötzlich in der Bahn einer erschreckend klaren Erkenntnis ausgesetzt zu sein: Ich werde berühmt. Vielleicht nicht so wie Idina Menzel oder Norm Lewis, aber es würde Menschen geben, die Autogramme von mir wollten. Die Youtube-Videos von mir ansehen würden. Die kreischen würden, wenn sie ein Ticket von Rebecca zu Weihnachten geschenkt bekamen, die sich Fotos von mir ansehen wollten und im Internet über mich schrieben… Ich sah auf. Ehe ich richtig darüber nachdenken konnte, hielt ich mein Handy in der Hand und das Google-Logo leuchtete mir entgegen. rebecca musical cast berlin gab ich ein – und landete prompt auf einer Musical-Seite namens musicals.germany.de.
…steht seit einigen Tagen die gesamte Cast fest. Marius Hübert bekleidet demnach die Rolle des Maxim de Winter, was ja schon seit längerer Zeit vermutet wurde. Mrs. Danvers wird gespielt von Muriel Schwarz, Ich von Anouk Steger. Besonders letztere dürfte den wenigsten ein Begriff sein, dabei ist sie laut KlangEntertainment „[…] ein vielversprechendes Nachwuchstalent, das uns von Anfang an mit einer klaren Stimme und starker Ausdruckskraft begeistern konnte.“ Steger befindet sich derzeit im zweiten Ausbildungsjahr zur Musicaldarstellerin.
Für weitere Informationen über die Rollenvergabe: Seite 2.

Ich scrollte auf der Seite nach unten, bis ich zu den Kommentaren gelangte. (Ich weiß, ich weiß, man sollte das einfach nicht lesen. Aber es juckte mich in den Fingern.) Natürlich gab es viele, teilweise nicht sehr schmeichelhafte Diskussionen. Wicked91 schrieb zum Beispiel: Ist die Rolle nicht etwas zu groß für jemanden, der noch in der Ausbildung ist? Angelofmusic verteidigte mich und alle Azubis, denn er meinte, Sabrina Weckerlin war auch noch in der Ausbildung, als sie mit 3M auf der Bühne stand. Und sie war gut! Wenn diese Leute nichts draufhätten, würde KlangEntertainment sie nicht nehmen. Ein gewisser SimbaLion, der mir auf dieser Seite schon öfters negativ aufgefallen war, spekulierte, dass dieses halbausgebildete Mädchen die Show runterziehen würde. Ich würde bei einer so großen Rolle eher auf erfahrenere Sängerinnen setzen. Und Dorothy stimmte zu: Wenn das mal nicht eine Enttäuschung wird... Andererseits ist Ich doch ein unerfahrenes Mädchen? Sehr nett. Etwas weiter unten verteidigte mich eine nette Glinda: Ich denke, es ist unsinnig, sich jetzt schon schlimmes auszumalen. Ihr habt noch nie etwas von dem Mädchen gehört und verurteilt sie direkt? Wenn KlangEntertainment eine Auszubildende erfahrenen Sängerinnen vorzieht, ist doch nur zu vermuten, dass sie überdurchschnittlich gut ist! In diesem Business gibt es so etwas wie Mitleidbonus auf gar keinen Fall! @Dorothy: Also ist sie doch genau richtig? Jugendlich, vermutlich, da kann sie sich gut in die Rolle hineinversetzen. Manch andere Darstellerin war mir schon zu erwachsen. Abwarten, Leute, in einigen Tagen ist die PK.
Ja, die Pressekonferzenz. Ich schaltete mein Handy aus und nahm mir vor, auf der Pressekonferenz alles zu geben und meinen Kritikern zu zeigen, dass ich ihre Erwartungen übertreffen würde. Wie konnten sie nur solche Vorurteile gegen mich haben, obwohl sie mich nicht mal kannten? Ich fühlte mich ein bisschen elend und spielte mit dem Gedanken, Daniel anzurufen. Dann aber dachte ich daran, dass er sich von mir in den Schatten gestellt fühlte, und starrte weiter aus dem Fenster des Zuges.

Nicht mal zwei Fahrstunden später stand ich am Berliner Hauptbahnhof. Das riesige Glasdach war überwältigend, aber wegen meines mangelnden Orientierungssinns konnte ich der tollen Architektur kaum einen Blick gönnen. Es dauerte etwas, bis ich mich durch das Menschengedränge bis zur Eingangshalle durchgekämpft und es schließlich bis auf den Vorplatz geschafft hatte. Einige Meter von mir entfernt lag die Spree. Ich schloss die Augen, klammerte mich an meinen geliebten roten Koffer und atmete tief ein. Ich war noch nie in Berlin gewesen, aber ich hatte mir fest vorgenommen, einige markante Orte unbedingt zu besichtigen. Jetzt musste ich es nur noch schaffen, mein Hotel zu finden… Ich beschloss, diese Aufgabe vor mir herzuschieben und stattdessen hinunter an die Spree zu gehen. Die Fahrt war zwar nicht lang gewesen, trotzdem stand mir der Sinn nach ein bisschen Ruhe. Doch kam nicht mal bis zur Treppe, die zum Ufer hinunterführte, als ich verdutzt stehen blieb. An das Geländer stand ein Mann gelehnt, hochgewachsen, mit blondem Haar. Er las eine Zeitung, und ich war mir nicht sicher, ob ich mich irrte, als er sie plötzlich sinken ließ und meinem erstaunten Blick begegnete. Marius! Etwas unsicher ging ich auf ihn zu.
„Hallo“, sagte ich und gab ihm die Hand.
„Hallo, Anouk“, erwiderte er, gut gelaunt wie immer. „Ich dachte, ich hole dich ab, Berlin kann für Neuankömmlinge etwas unübersichtlich sein.“ Er nahm mir den Koffer ab. „Alice hat vorgeschlagen, dass du direkt ins Theater kommen könntest.“ Alice Foster war unsere Regisseurin. „Wir sind schon seit ein paar Tagen hier. Wenn du aber lieber erst ins Hotel willst…“
„Nein, nein! Ich würde gerne ins Theater!“, sagte ich hastig. Nicht, um die Streberin raushängen zu lassen. Ich wollte jetzt nicht allein sein in irgendeinem unpersönlichen Zimmer. Ich würde dort nur Angst bekommen und unsicher werden. Besser, ich bekam Gewissheit über mein neues Arbeitsumfeld. Marius lächelte zufrieden.
„Gut. Zu meinem Wagen geht’s hier lang.“

Marius fuhr einen alten grünen Opel, der bei jedem Stopp seufzte wie ein erschöpfter Kranker. Wir unterhielten uns, und erst war ich etwas zögerlich. Aber Marius war so nett und ruhig, dass ich immer ungezwungener mit ihm reden konnte, bis wir nach zwanzig Minuten inklusive langer Warteschlange an einer Ampel am Theater ankamen. Es war wunderschön, altmodisch und elegant, genau mein Stil. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte, doch als wir die Gardroben betraten, legte sich meine Euphorie. Wir gelangten in einen langen, grauen Gang mit Fotos und Infos an den Wänden. Rote Türen säumten den Gang, und auf jedem stand ein neuer Name. Anja Behring, Stefan Kammer, Janine Kramer, Anouk Steger. Marius blieb stehen. „Hier ist deine Garderobe“, sagte er. „Der Schlüssel steckt von innen.“ Er dachte kurz nach. „Du kannst deinen Koffer einfach drin stehen lassen, und wenn du dich umgesehen hast, kannst du auf die Bühne kommen. Den Gang runter und dann rechts, ganz leicht zu finden. Muriel ist, glaube ich, auch da.“
„Okay“, sagte ich, „danke.“ Ich öffnete die Türe und betrat meine Garderobe. Klein, aber fein. Links ein Sofa, rechts ein schmales Regal, am anderen Ende des Raumes ein Schminktisch mit Spiegel, Schubladen und Ablagen. Auf dem Tisch stand ein kleiner Strauß Blumen mit einem Herzlich Willkommen-Schild, daneben mein Skript. Es sah irgendwie ironisch aus – auf die Begrüßung folgte sofort die Mahnung: lernen! Ich seufzte und ließ mich auf den Stuhl vor dem Tisch fallen. Muriel ist auch da, hatte er gesagt. Muriel Schwarz. Mein Magen zog sich zusammen, als ich aufstand. Würde es irgendwann aufhören – diese freudige Nervosität, wenn man bereits berühmte Kollegen traf? Ich stand auf und durchquerte das Zimmer. Auf zur Bühne!
Zuletzt geändert von Ophelia am 13.06.2014, 14:40:51, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 13.06.2014, 00:01:48

Ein sehr sehr schöner Teil, hat mir sehr gut gefallen. Ich kann mit Anouk mitfühlen und drücke ihr ganz fest die Daumen! Schön wie du ihre Nervosität beschreibst und die Begegnungen mit den berühmten Leuten - auch wenn sie für uns Namen tragen, die mit keiner Konnotation verknüpft sind. Ein wenig bricht der Vergleich mit Sabrina da raus - sie ist die Einzige, die es wirklich gibt. Hätte man vllt noch ändern können. Ich muss gestehen, dass ich bei Marius Hübert immer zur Hälfte an Marius als Les Mis und an Elisabeth Hübert denken muss...
Sollte in dem Artikel im Internet nen Tippfehler sein? Statt "Rolle" steht da "role", sollte das englisch sein oder iwie so? Mir hat sich der Sinn nicht ganz erschlossen.
Ich bin total auf ihre Proben gespannt!!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 13.06.2014, 14:40:22

Gaefa hat geschrieben:Ein sehr sehr schöner Teil, hat mir sehr gut gefallen. Ich kann mit Anouk mitfühlen und drücke ihr ganz fest die Daumen! Schön wie du ihre Nervosität beschreibst und die Begegnungen mit den berühmten Leuten - auch wenn sie für uns Namen tragen, die mit keiner Konnotation verknüpft sind. Ein wenig bricht der Vergleich mit Sabrina da raus - sie ist die Einzige, die es wirklich gibt. Hätte man vllt noch ändern können. Ich muss gestehen, dass ich bei Marius Hübert immer zur Hälfte an Marius als Les Mis und an Elisabeth Hübert denken muss...
Sollte in dem Artikel im Internet nen Tippfehler sein? Statt "Rolle" steht da "role", sollte das englisch sein oder iwie so? Mir hat sich der Sinn nicht ganz erschlossen.
Ich bin total auf ihre Proben gespannt!!

Sabrina wird nie in der Geschichte auftreten, sie ist bis auf eine Ausnahme, die noch folgt, auch die einzige reale Darstellerin, die aber lediglich namentlich erwähnt wird. Und mit den Namen liegst du ziemlich nah an der Wahrheit - ich hab hier so eine CD-Box "The best of Musical Hits", da klau ich manchmal Namen und setz' sie neu zusammen :oops: Und danke für den Hinweis, es soll natürlich Rolle heißen ;) Und nun geht's weiter.

Auf meinem Weg zur Bühne begegnete ich einer Menge Leute. Dieser Teil des Theaters summte wie ein Wespennest; Techniker und Bühnenbildner kamen und gingen und trugen schwere Gegenstände. Ich blieb einige Male stehen, um mir die Aushänge an den Wänden anzusehen. Auf dem größten schwarzen Brett hing eine Liste mit Probenzeiten. Ich warf nur einen kurzen Blick darauf, denn ich war mir ziemlich sicher, dass ich den gleichen Zettel auch in meinem Skript finden würde.
Schließlich gelangte ich an eine schwere Tür. Die Ampel darüber kannte ich – jetzt stand sie auf grün, und wenn sie irgendwann auf rot stünde, hieße das, dass die Show in vollem Gange war… Ich zog die Türe auf und betrat den dahinter liegenden… ja, was war es eigentlich? Ein Raum nicht; eher eine langgezogene zweite Bühne, die für die Besucher immer unsichtbar bleiben würde. Mehrere Schilder wiesen die verschiedenen Bühnenaufgänge aus, und schon jetzt waren einige Namen des Ensembles mitsamt Szenennamen eingetragen. Große Teile des Bühnenbildes stapelten sich neben mir; die Wendeltreppe, die später Feuer fangen würde, ragte unerwartet groß neben mir auf. Ich ging wahllos durch einen Bühnenaufgang und fand mich unvermittelt in einer anderen Zeit wieder: in einem wunderschönen Zimmer, an dessen Rückwand einige flache Treppenstufen auf eine große, elegant gearbeitete Balkontür hinaufführten. Rechts daneben stand, etwas schräg im Raum, ein gewaltiges Bett, scheinbar frisch bezogen. Am Fußende ruhte ein seidenes Nachthemd. Staunend wie ein Kind am Weihnachtsabend ging ich über die Bühne, blieb vor dem Bett stehen und strich über die Decke. Es war tatsächlich bezogen, roch sogar ein wenig nach Weichspüler und muffigen Transportwagen. Die Kulisse nahm mich völlig gefangen, ich vergaß alles um mich herum und verlor mich für eine Weile in Bildern, die Daphne du Mauriers Worte in meinen Kopf gezaubert hatten. Ja, so musste das Zimmer tatsächlich aussehen. Groß, gerade so protzig, dass es durch die allgegenwärtige Eleganz geschickt kaschiert wurde. Was würde geschehen, wenn ich durch die Balkontür trat? Ich wollte gerade nachsehen, als hinter mir eine Stimme erklang; markant und eindringlich, mit einer Spur Häme, ein wenig Hass, ein bisschen Wahnsinn.
„Das ist ihr Bett, und hier – das ist ihr Nachthemd!“
Ich drehte mich um. Es war wirklich verwirrend für mich, Muriel Schwarz nicht perfekt geschminkt und in einem top sitzenden Kleid zu sehen, wie sie eine Charity-Gala oder einen Musical-Abend eröffnete. Heute trug sie ihr schwarzes Haar zu einem lockeren Zopf, sah ein wenig blass und unscheinbar aus. Ich wusste nicht, wie ich auf ihre szenengetreue Begrüßung reagieren sollte; dann dachte ich, dass ich es ihr einfach gleichtun könnte.
„Sie ist fort“, sang ich, „wer tot ist kommt nicht mehr zurück!“ Ich musste schon bei der Hälfte der Zeile grinsen, weil es völlig absurd war, sich sogar außerhalb der Proben singend zu unterhalten. Das war so, als würde ein Richter auch zu Hause jedes kleine Familienvergehen sofort genau unter die Lupe nehmen.
Muriel lachte. „Sehr gut, aber jetzt noch mal richtig: ich bin Muriel!“, begrüßte sie mich und umarmte mich.
„Anouk“, stellte ich mich meinerseits vor.
„Hat Marius es also geschafft, dich hierher zu schleppen?“
„Eigentlich kam mir sein Angebot ganz gelegen“, erwiderte ich. „Ich wollte viel lieber das Theater sehen.“
„Das kann ich verstehen. Bisher hast du noch in keinem ’großen’ Musical mitgespielt, oder?“
„Nein.“ Ich erklärte ihr kurz (und zum gefühlten hundertsten Mal) von meiner Vergangenheit, heißt: wie ich überhaupt auf die Idee kam, singen zu wollen. In der Zwischenzeit stieß Marius zu uns, gemeinsam mit einer blonden, geschäftig wirkenden Frau Mitte dreißig. Sie trug eine große, knallrote Brille und einen weiten Pulli zu enger Jeans, die in schwarzen Stiefeletten steckte. Sie sah irgendwie… kreativ aus. Aber die beiden unterbrachen uns nicht.
„Es gibt so viele Mädchen, die deinen Wunsch teilen“, meinte Muriel. „Ich weiß noch, wie ich damals anfing… Ich war etwas jünger wie du und wollte eigentlich Jura studieren.“ Sie lachte. „Ich bin hier irgendwie reingerutscht.“
Irgendwie reingerutscht. Würde es sich später auch so leicht anhören, wenn ich von meinem Weg berichtete? Ich sah mich in einer Talkshow im Frühstücksfernsehen sitzen, mit lockeren Moderatoren.
„Anouk, sie sind da ja… irgendwie reingerutscht, in diese Musicalausbildung“, würde der dunkelhaarige Moderator in Jackett und legerer Jeans sagen, mit typischem, lang gezogenem und überbetontem Moderatoren-Slang. „Erzählen Sie mal, wie war das genau?“
Und ich würde mein Haar aus Gewohnheit zurückstreichen, mich ein wenig auf dem bequemen Sofa zurechtrücken und sagen: „Ja, ich war damals siebzehn und wollte aus einem Interesse heraus Gesangsunterricht nehmen. Dadurch bin ich auf die Musicalwochen meiner Stadt aufmerksam geworden, wo ich dann die Elphaba spielen durfte. Und bei der Premiere von Wicked bot mir die Music&Art Academy ein Stipendium an.“ Ich würde die Geschichte zugunsten der Sendezeit kürzen müssen, und sie würde sich oberflächlich anhören. Und der Moderator würde noch einmal nachhaken und sagen: „Und dieser Gesangsunterricht – der war ja auch kostenlos.“
„Ja, genau. Weil wir damals… na ja, ziemlich wenig Geld hatten.“ Und der durchschnittliche Zuschauer würde denken: Wow, dieses Mädchen hatte wirklich Glück!
Würde jemand als erstes von Talent sprechen?
„So, ich glaube, Alice will dich auch kennen lernen“, unterbrach Muriel meinen seltsamen Gedankengang. Die blonde Frau, unsere Regisseurin (eindeutig eine Kreative!), hatte schon am Broadway inszeniert. Sie begrüßte mich und sprach überhaupt alles in einem Wechsel aus Englisch und Deutsch.
„Okay, Ladies, I’m really buisy right now… Schau dich ein bisschen um, Anouk, dein… wie sage ich… Probenplan ist in deine Garderobe!“ Und damit verschwand sie auch schon wieder, einem Bühnenarbeiter hinterherrufend.
„Es ist alles noch ein bisschen chaotisch“, entschuldigte Marius ihr Verhalten. „Alice ist eigentlich ganz cool. Aber es gab einige Probleme mit dem Aufbau, irgendetwas ist zu Bruch gegangen…“ Er zuckte die Schultern. „Aber wie wär’s, wenn wir dich ein bisschen rumführen, vielleicht treffen wir ja ein paar Kollegen.“
„Okay“, stimmte ich zu, und wieder befiel mich jene kindliche Aufgeregtheit. Das Theater hatte eine geradezu magische Wirkung auf mich, und ich konnte es plötzlich nicht mehr abwarten, alles genau kennen zu lernen!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 13.06.2014, 15:18:39

Schön! Die Begrüßungsszene gefällt mir gut. Auch der Einschub der geträumten Talkshow ist sehr interessant. Ich bin gespannt, wie es mit den Proben gehen wird. Freue mich auf Fortsetzungen!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 14.06.2014, 20:36:53

Weiter geht's, heute mit einem nicht so angenehmen Teil. Trotzdem viel Spaß beim Lesen

An diesem Abend war ich so erschöpft, dass ich mich nicht mal daran störte, allein und fremd zu sein. Das Hotelappartement war hübsch, wenn auch schlicht, mit kleinem Bad, winziger Küchenzeile und Mini-Fernseher. Während ich mich müde bettfertig machte, wirbelten tausende Erinnerungen in meinem Kopf herum.
Marius und Muriel waren so bemüht um mich, dass es mir leicht fiel, mich in das Ensemble einzufinden. Wir besuchten die Technik-Räume, sahen beim Aufbau einiger Kulissen zu und probierten zum Schluss Perücken in der Kostümabteilung an. Als ich mich das erste Mal mit dem straffen Bob im Spiegel sah, musste ich erst einmal schlucken – ich sah schon ein wenig seltsam aus. Aber nachdem ich Mrs. Danvers Perücke kurz getragen hatte, zog ich dann doch die blonde, biedere Frisur vor.
Ich versank in einem tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem ich trotz aller Erschöpfung schon um acht Uhr morgens erwachte. Heute war Sonntag – mein letzter freier Tag vor den Proben. Ich lag im Bett, schläfrig, und sah den letzten, herbstlichen Sonnenstrahlen zu, die mit langen Fingern durch das kahle Zimmer wanderten. Was sollte ich mit diesem Tag anfangen? Lernen oder entspannen? Ich beschloss, die Entscheidung noch etwas hinauszuzögern und erst einmal frühstücken zu gehen. Mein Magen hatte gestern nicht mehr besonders viel Nahrhaftes bekommen, was er mir nun ausdrücklich mitteilte. Ich schlüpfte in bequeme Klamotten und kämmte mir rasch über die Haare, ehe ich mein Zimmer verließ und durch das helle Treppenhaus ins Erdgeschoss lief.
Die Frühstücksauswahl war nicht sehr groß und auch nicht nach meinem Geschmack, aber zum Glück gab es frisches Obst und Müsli. Die Brötchen ließ ich liegen, nachdem ich bemerkt hatte, dass sie butterweich waren. Mit einer Schale Cornflakes, zwei kleinen Pfirsichen und einem Apfel sowie einer Tasse Kaffe suchte ich mir einen freien Platz im Frühstücksraum. Er war sonnendurchflutet und ganz in gelb- und Orangetönen gehalten. Die gemütliche, frische Atmosphäre veranlasste mich dazu, mein Frühstück voll auszukosten. Am Nebentisch unterhielt sich eine Familie lebhaft über den Besuch bei Hinterm Horizont, der ihnen anscheinend sehr gut gefallen hatte. Ein Mädchen blätterte die ganze Zeit in einem dicken Musicalmagazin. Gedankenverloren starrte ich gegen die Plastikblumen auf meinem Tisch. Vielleicht war heute die letzte Gelegenheit, Berlin wenigstens ein bisschen besser kennen zu lernen… Ich dachte an das Skript und den Probenplan. Eigentlich war ich gut vorbereitet (Mrs. Paige sei Dank!), aber trotzdem wollte ich nicht als Auszubildende abgestempelt werden.
„Ähm… Entschuldigung?“, erklang es vor mir. Ich sah verwirrt auf. Das Mädchen vom Nachbartisch stand vor mir, das Magazin immer noch in der Hand. Ein wenig verlegen sah sie mich an. Sie war vielleicht dreizehn.
„Bist du… sind Sie… Sind Sie das hier?“, fragte sie und hielt mir einen Artikel hin. Rebecca: Cast steht fest, lautete die Überschrift. Links vom Text waren drei schwarz-weiß-Fotos von Marius, Muriel und mir.
„Ja“, sagte ich ein wenig verdutzt. „Das bin ich.“
„Oh, wow.“ Sie war sichtlich beeindruckt. „Ich werd’s mir bestimmt ansehen! Kann ich vielleicht ein Autogramm haben?“
„Ein Autogramm?“, wiederholte ich fassungslos. Sie kannte mich doch nicht mal!
„Ja, hier drauf.“ Sie hielt mir einen Stift hin und tippte auf mein Foto. Ich kritzelte meinen Namen über mein Gesicht, und sie schien der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Benommen sah ich zu, wie sie ihrer Familie meine Unterschrift präsentierte. Zwei Dinge gingen mir durch den Kopf. Erstens wurde mir bewusst, dass es irgendwie dämlich war, sich über die Unterschrift von jemandem zu freuen. Und zweitens wurde mir klar, dass es dem Mädchen nie um mich gegangen war, sondern um das, was ich hoffentlich bald darstellen würde: eine (kleine) Berühmtheit.

Nach diesem… ja, es war ein kleiner Schock gewesen, brauchte ich erst einmal Zeit für mich. Ich machte mich fertig und setzte mich auf mein ungemachtes Bett, das weit geöffnete Fenster neben mir. Es war Sonntag… Vielleicht hatte er Zeit. Ich suchte die Nummer raus und hielt mir das Telefon ans Ohr, zittrig. Nach dem vierteln Klingeln hob er ab.
„Hallo, Anouk“, sagte Daniel. Ich atmete leise aus. Das hieß, er hatte meine Nummer noch eingespeichert.
„Hi“, erwiderte ich etwas schüchtern. „Wie… geht’s dir?“
„Mir geht’s gut“, sagte er betont. „Es läuft sehr gut bei mir.“
„Bei mir auch“, sagte ich. „Ich bin-“
„Bei Rebecca, ich weiß.“ Natürlich wusste er es. Ich war nicht der Nabel der Welt. Es schmerzte trotzdem zu hören, dass er es wusste, aber nicht angerufen hatte. Nicht mal eine sms.
„Ja, natürlich“, murmelte ich. „Wir fangen morgen an zu proben.“
„Aha.“
Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Hatte er unseren Streit immer noch nicht überwunden?
„Und, wie ist die Schule?“, fragte ich mit bemüht ruhiger Stimme.
„Ziemlich cool. Aber anstrengend. Mein Gesangslehrer hat mir so viel beigebracht, ich hätte nie geahnt, dass ich das jemals schaffen könnte… Und die Leute hier sind auch okay. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass es Konkurrenzkämpfe geben könnte, aber wir kommen gut miteinander aus.“ Er lachte kurz auf. „Alle sind völlig begeistert, seitdem sie wissen, dass ich mit der Hauptdarstellerin von Rebecca zusammen bin“, sagte er fröhlich. Mir wurde schlecht. „Ich bin für sie auch fast so etwas wie eine Berühmtheit. Ständig fragen sie mich aus.“
„So? Na, da hast du ja Glück“, sagte ich und zwang mich zu lachen. „Du, Daniel – ich wollte eigentlich länger mit dir reden, aber… ich habe hier grade einen Hotelmitarbeiter an der Türe… Ich rufe dich zurück, ja?“
„Okay“, sagte er. „Tut mir übrigens leid, dass mit unserem Streit und so. Wir vertragen uns doch wieder?“
„Ja doch. Klar. Bis dann.“
„Bis dann.“ Er legte auf. Ich ließ mein Handy sinken und starrte gegen die Wand. Da hatten wir es. Er liebte mich nicht mehr. Vielleicht hatte er sich sogar von mir trennen wollen. Aber jetzt kam ihm meine neue, große Rolle natürlich gelegen – er bekam ebenfalls einen Teil Aufmerksamkeit, er war cool. Es ging längst nicht mehr um mich, es ging um meine Rolle. Die hatte meinen Platz in seinem Herzen eingenommen. Ich tippte mit tauben Fingern eine sms in mein Handy. Die Regisseurin will sich noch mal mit uns treffen. Rufe dich später bestimmt an. LG Anouk. Ich starrte noch eine Weile auf die abgeschickte Nachricht, dann vergrub ich mein Gesicht in den Kissen und weinte meinen Frust hinein.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 14.06.2014, 21:04:16

Ich freu mich jedes Mal wieder, wenn ich ins Forum komme und einen neuen Teil von deiner Geschichte lese!
Dieses Mal ist er wirklich traurig, zumindest das Ende. Aber super geschrieben, sowohl die Autogrammszene als auch später das Telefonat. Aber heißt das, dass die beiden seit den Ferien nicht mehr miteinander gesprochen haben?? Das ist Wochen, wenn nicht sogar Monate her... Sowas kann man doch nicht Beziehung nennen. Es tut mir sehr leid für Anouk, dass sie diese Erfahrung machen muss, aber ich hab das Gefühl, dass sie momentan ohne Daniel besser dran wäre... Ich bin gespannt, wie es weitergeht! Ich hoffe, ich muss nicht lange warten :)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 15.06.2014, 13:52:26

Gaefa hat geschrieben:Ich freu mich jedes Mal wieder, wenn ich ins Forum komme und einen neuen Teil von deiner Geschichte lese!

Ich freu mich wirklich, dass die Geschichte noch interessant ist :)

„Vielleicht solltest du dich einfach von ihm trennen?“
Ich hielt inne. Die ganze Welt schien stehen zu bleiben in diesem Augenblick. Für mich, für Sarah am anderen Ende der Leitung. Das seltsame war, dass die Welt nicht stehen blieb, weil ich geschockt war. Sie blieb stehen, weil Sarah mir klarmachte, was mein Hirn schon längst wusste: dass es zwischen uns einfach aus war. Nur mein Herz stolperte weitr und versuchte vergeblich wieder in den Takt der Verliebtheit zu kommen.
„Ach Mann, es tut mir so leid für dich, dass das gerade jetzt passieren muss!“, fuhr sie fort, als ich nicht antwortete. „Aber manchmal ist es besser, der Wahrheit ins Gesicht zu gehen. Probleme aus dem Weg zu räumen, die dich nur behindern würden.“
„Ich weiß“, sagte ich leise. „Aber… Wird es mir dann besser gehen?“
„Das kann ich dir nicht sagen“, gab sie zu. „Wenn du damit klarkommst, dass er nur noch aus Prinzip mit dir zusammen ist… - Warte mal. Liebst du ihn eigentlich noch?“
Ich biss mir auf die Lippe und dachte nach. „Ich weiß nicht“, sagte ich. Und ich weiß nicht war in einer solchen Situation immer eine gefährliche Antwort. Weil sie zu nahe am Nein war.
„Was ist, wenn du eine Pause vorschlägst?“
„Er würde da nicht verstehen.“
„Wieso bist du dir da so sicher?“
„Ich weiß es, Sarah. Er würde es nicht verstehen. Er ist so… empfindlich geworden. Ich kann es mir gar nicht erklären. Vielleicht fühlt er sich… na ja, schlechter als ich. Dabei ist er das nicht.“ Ich seufzte. Wir drehten uns im Kreis. „Weißt du was? Ich muss nachdenken.“
„Okay.“ Sie klang besorgt. „Mach dir bitte nicht zu viele Gedanken. Konzentrier dich auf deine Rolle! Ruf mich an, wenn du dich entschieden hast, ja?“
„Versprochen.“ Ich drückte sie weg und lehnte den Kopf gegen die Wand.
Sie hatte ja Recht. Es war Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken.
Die Wahrheit war: Anouk und Daniel hatte es nie wirklich gegeben. Nur Fiyero und Elphaba. Wir hatten diese Rollen so lange weitergespielt, bis sie in uns übergegangen waren. Und die Liebe war echt gewesen, kein Zweifel. Sonst wäre der Schmerz jetzt nicht so groß… Aber es konnte so nicht weitergehen. Diese Fernbeziehung machte keinen Sinn. Das Dilemma war nur: wie sollte ich mich von ihm trennen? Am Telefon? Bei der Premiere? Beides kam mir unvorstellbar vor. Gemein. Ich schätze, man kann erahnen, wie ich mich entschied.
Ich wollte das Problem erst einmal… ruhen lassen. Ignorieren (nicht verdrängen!). Unsere Beziehung war, wenn man es genau bedachte, ja gar keine richtige Beziehung mehr – wann sprachen wir schon mal miteinander? Also hielten sich auch meine Schuldgefühle in Grenzen.
Ich beschloss, den Tag mit Üben zu verbringen. Wenn ich Berlin besichtigte, würde ich mich nur noch einsamer fühlen. Denn wer sollte mich begleiten?

Der nächste Tag begann für mich um sieben Uhr. Ich beschloss, dass es unsinnig war, sich für die Proben besonders aufzuhübschen, und verließ um halb neun das Hotel in Jeans und T-Shirt. Mit dabei: bequeme Jogginghose, mein Skript, den Probenplan, etwas zu schreiben, viel zu trinken, etwas zu Essen, Notenhefte, das Buch „Rebecca“. Ich fühlte mich ausgeruht und gut vorbereitet. Ich fuhr mit der herrlichen gelben Bahn zum Theater und musste glücklicherweise nur ein Mal umsteigen. Die Stadt schien zu leben; es gab keinen Winkel, der nicht irgendeine Geschichte oder ein Schicksal erahnen ließ. Und das musste nicht immer etwas mit dieser nervtötenden Mauer-Sache zu tun haben, die mich schon auf der Realschule ungeheuer gelangweilt hatte. Ja, es waren schreckliche Dinge passiert. Aber das Leben geht weiter. Die Zeit bleibt nicht stehen. Berlin war eine Stadt mit Charakter, jeder Mensch schien seine Geschichte offen mit sich herum zu tragen, wie ein Buch, dessen Sprache man nicht entziffern konnte.
Um halb zehn war ich am Theater. Alice hatte die erste Probe auf zehn Uhr angesetzt, somit hatte ich noch etwas Zeit. Ich richtete mich in meiner Garderobe ein und machte sie etwas persönlicher – heißt, ich warf meinen Kram in alle Ecken. Dann studierte ich noch einmal genau meinen Probenplan. Heute war eine Art Sonderprobe, in der vermutlich alle erst mal miteinander warm werden mussten. Normalerweise fing mein Tag montags um elf an und endete zwischen 17 und 22 Uhr. Ebenso mittwochs und donnerstags. Dienstags musste ich erst um 14 Uhr antanzen, aber auf jeden Fall bis 21 Uhr bleiben. Freitags und Samstag ging die Probe von 15 bis 21 Uhr, sonntags war so was wie der Joker aller Tage: je nachdem, was es zu tun gab, würden wir frei haben oder arbeiten. Unter dem Plan stand eine Notiz: Alle Probenzeiten sind unverbindlich; besonders in der Endphase kann es zu Verschiebungen kommen. Sprechen Sie sich daher immer mit Ihrer Regisseurin ab! Damit war zu rechnen gewesen.
Inzwischen ging es in den Nachbargarderoben und auf dem Flur etwas lebhafter zu. Um viertel vor zehn suchte ich die Bühne auf. Sie war heute leer, glänzend und geheimnisvoll im Licht einiger Scheinwerfer. Es waren schon einige Ensemblemitglieder da. Ich wusste, dass wir zusammen dreiunddreißig Ensemblemitglieder waren. Langsam verließ ich die Bühne und betrat den Zuschauerraum, der von der Bühne aus überwältigend groß aussah. Ich suchte mir einen Platz in der fünften Reihe und blätterte mein Skript durch, ohne es wirklich zu lesen. Es gab noch einige Stellen, die noch nicht richtig saßen, aber dafür konnte ich alle Songs. Ich war viel zu aufgeregt, um mich auf irgendetwas zu konzentrieren.
Punkt zehn war Alice da und bat uns alle auf die Bühne. Es wurde ziemlich voll.
„Well, welcome to Rebecca“, sagte sie strahlend. „Ich glaube, wir wollen alle beginnen ohne Stress, right? Deshalb machen wir ein kurzes gemeinsames Aufwärmen und gehen das Stück einmal gemeinsam durch, okay? Eine Pianist ist anwesend, I’ll maybe want to hear some songs, okay?” Sie sagte ziemlich oft Okay? Oder right?.
Wir machten eine Aufwärmrunde, die sehr lustig und turbulent zuging, da jeder einige Übungen beizutragen hatte, die der Rest vielleicht nicht kannte. Ich konnte beobachten, dass sich manche schon kannten, und dass wir vor allem eine bunte Truppe aus aller Welt waren: Niederländer, Engländer, Österreicher, Schweizer, zwei Japanerinnen, die aber alle recht gut Deutsch und Englisch sprachen. Anschließend setzten wir uns „ganz gemütlich, okay?“, auf die Bühne, mit einem startklaren Pianisten. Dann begannen wir, das Stück einmal durchzugehen, und Alice hielt sich weitgehend zurück. Sie nickte nur und machte sich ständig Notizen.
„Okay, stop please“, rief sie. “Darf ich hören… Zauberhaft natürlich?”
„Aber sicher.“ Marius schlug sein Notenheft auf, das er eigentlich gar nicht brauchte – der Song saß schon ziemlich perfekt. Auch wenn Alice das anders sah, sie schien eine absolute Perfektionistin zu sein.
„Okay, wir werden das üben“, sagte sie, aber Marius setzte sich gelassen wieder. Vermutlich lernte man irgendwann, mit so etwas umzugehen.
Alice wollte noch Rebecca I und Heut Nacht verzauber’ ich die Welt hören, danach hatten wir erst mal zwanzig Minuten Pause. Mein Magen knurrte ganz schön. Glücklicherweise gesellten sich Marius und Janine Kramer (Beatrice) zu mir, sodass ich nicht allein war.
„Und, schon eingelebt?“, fragte Janine.
„Es geht“, sagte ich. „Das Hotel ist ganz okay, aber das Frühstück...“ Ich verzog das Gesicht. Sie lachte. „Das kenn ich. Da muss man einfach Glück haben. Aber es gibt hier recht günstige Cafés oder Bäcker, bei denen du frühstücken kannst.“
„Ich werd mich mal umsehen“, nahm ich ihren Vorschlag auf.
„Hast du ein bisschen Zeit für Sightseeing gehabt?“, erkundigte sich Marius. Ich seufzte.
„Kaum. Hab’ mich entschieden, mich vorzubereiten.“ Ich bereute es nicht, wenn ich auch die Stadt sehen wollte.
„Vielleicht schaffen wir es ja, einen gemeinsamen Ensemble-Tag einzulegen“, mischte sich eine junge Frau aus dem Ensemble ein, von der ich glaubte, dass sie Eva hieß. „He, wer von euch war noch nie in Berlin?“, rief sie in die Runde. Mehrere Finger und Ich-Rufe. „Genial. Dann können wir ja versuchen, uns allein durchzuschlagen, solange wir sonntags noch Zeit haben.“
„Ich kann gerne die Führung übernehmen“, bot Anja Behring (Mrs. Van Hopper) an. „Ich bin hier großgeworden.“
„Das klingt doch gut“, meinte Marius. „Dann habe ich endlich mal die Chance, die wirklich interessanten Orte zu sehen.“
Kurz nach dieser Unterhaltung kam Alice wieder, und es ging weiter. Muriel und ich hatten viel Spaß bei Mrs. De Winter bin ich, dann versuchten wir uns alle an Manderley in Flammen, aber es war tatsächlich noch steigerungswürdig. Anschließend bekamen wir von Alice noch einiges organisatorisches zu hören, auch in Bezug auf unbedingte Pünktlichkeit, und wurden um halb fünf entlassen.
Der erste Probentag war ja recht gut und gelassen verlaufen.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 15.06.2014, 17:06:53

Wie immer ein toller Teil. Sie scheint der Tatsache wirklich langsam ins Gesicht sehen zu müssen, dass es mit ihr und Daniel nicht klappt. Das ttut mir leid für die beiden, aber Sarah ist eine tolle Freundin, gut, dass sie sich haben!
Schöner Probentag. Ich bin absolut kein Experte was Theater und solche Proben angeht, aber ich finds gut geschrieben, auch wenn ich gedacht hätte, dass man früher am Tag beginnt - aber gut, da können ja z.B. die Ensembleproben liegen. Ich freu mich drauf, wies weitergeht!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 16.06.2014, 15:00:32

Mit den Proben kenn ich mich auch nicht so aus, zumindest nicht mit großen Musicalproben... Ich schreib einfach mal, was ich so vermute :D

Den nächsten Morgen verbrachte ich damit, ausgedehnt zu frühstücken, in einem gemütlichen Café um die Ecke. Es tat gut, einfach mal nichts zu tun außer nachzudenken. Irgendwann an diesem Morgen fasste ich einen Entschluss. Ich bemerkte ihn erst, als ich schon wieder zurück im Hotel und dabei war, mich für die Probe fertig zu machen. Aber er war so deutlich und überdacht, dass er gar nicht neu sein konnte. Ich musste ihn beim Frühstück gefasst haben.
Ich wusste nun, was ich zu tun hatte. Fakt war: Daniel liebte mich nicht mehr. Zumindest nicht genug, um mit mir zusammen zu sein. Er verletzte mich dadurch, aber ich wusste, dass er es nie beenden würde. Ich musste mich von ihm trennen, und ich würde es tun müssen, wenn wir aufeinander trafen. Das würde vermutlich bei der Rebecca-Premiere der Fall sein. Es würde hart sein, aber ich sah einfach keine Alternative mehr. Wir hatten uns zu sehr voneinander entfernt. Vielleicht würden wir ja Freunde bleiben. Ich dachte wehmütig an die Zeit, die wir bei Wicked verbracht hatten, an unser Zusammentreffen in der Garderobe. An seine tröstende Umarmung. So viel war geschehen… Dieser Job, diese Berufung – sie veränderte uns. Sie brachte einen Menschen in uns zum Vorschein, den wir bis dahin nicht kannten. Ich für meinen Teil wusste, dass ich nun viel selbstsicherer war. Und Daniel… Er hatte sich auch verändert. Nur wie weit, das konnte ich nicht sagen.
Inzwischen war ich im Theater angekommen, und erst jetzt kamen meine Gedanken zur Ruhe. Mir war danach, etwas zu singen, und da ich noch etwas Zeit hatte, machte ich mich in meiner Garderobe an der winzigen Musik-Anlage zu schaffen. Sie hatte tatsächlich einen USB-Eingang, und kurze Zeit später gaben Jeff Buckley und ich ein Duett zu meinem Lieblingssong Hallelujah. Ich wälzte mich ein bisschen in Nostalgie, aber ich konnte und wollte nicht weinen. Weil mein Entschluss richtig war. In diesem Moment wünschte ich mir, ein paar Klaviertasten unter den Fingern zu haben, in einem leeren Saal die paar Töne anzuschlagen, die ich kannte, und den Song ganz allein zu singen. Komm wieder runter, dachte ich bei mir. So bist du doch sonst nicht! Aber vermutlich gehörte das zu der ersten großen Liebe dazu: sich auch mal etwas melodramatisch gehen zu lassen, wenn das Ende nahte. Die anschließenden Songs waren etwas fröhlicherer Natur, Wildflowers zum Beispiel von Dolly Parton, dann ein bisschen Iron and Wine und natürlich Musicals. Ich fühlte mich ausgeglichen, als ich die Bühne betrat. Alice war schon da, umringt von einigen Ensemble-Mitgliedern. Sie ließ uns noch etwas Zeit, um anzukommen, beantwortete Fragen und telefonierte eine Menge, ehe sie alle um Ruhe bat.
„So, Ladies and Gentlemen, heute ist offizielle Probe!“, sagte sie enthusiastisch. „Ich habe mir folgendes gedacht: wir werden zunächst an den einzelnen Charakteren arbeiten, Solos und so weiter. Das wird für den Rest manchmal ein wenig… langweilig, aber da müssen wir durch.“ Sie blätterte in ihrem Skript herum. „Well, meine Überlegung war zu beginnen mit den kompakten Rollen wie Mrs. Danvers, Maxim, Ich and so on, und dann langsam den Rest einfließen zu lassen, sodass wir können herstellen… Verknüpfungen, right?“
Das Ensemble nahm die Ankündigung gelassen auf. Sie richteten sich gemütlich in den Reihen ein und holten etwas zu Essen aus den Taschen, andere lasen im Skript oder gingen weiter hinten Choreographien durch, während Muriel, Marius und ich zu Alice gingen, zusammen mit den Darstellern von Beatrice, Favell, Frank, Ben und Giles.
„Okay, als erstes will ich, dass ihr euch Gedanken macht über eure Beziehungen“, sagte Alice. „Ein kurzes Brainstorming.“
Es folgte eine Gesprächsrunde, die dann doch gut dreißig Minuten anhielt. Wir kritzelten im Skript rum, suchten Passagen raus und interpretierten hastig und trotzdem genau. Ich hatte das Gefühl, meiner Rolle und ihrem Leben etwas näher zu kommen. Es half, laut darüber nachzudenken, was „meine“ Handlungsmotive und Gefühle sein konnten.
Alles in allem war es erst mal viel Gerede, und erst nach einer kurzen Pause machten wir uns daran, die ersten Szenen durchzuspielen. Alice hielt sich dabei kaum an die chronologische Reihenfolge. Direkt als erstes wollte sie Bist du glücklich/Bist du böse? Von Marius und mir sehen, ohne das wir uns absprachen oder aufeinander eingestimmt hatten. Ich gab mir viel Mühe und versuchte, tief in die Emotionen zu gehen, aber ich hatte nur ein mittelmäßiges Gefühl.
„Okay…“, sagte Alice. „Anouk… Versuch nicht, bemüht ängstlich zu sein oder verstört oder was auch immer. Denk noch mal genau darüber nach, was Ich in diesem Moment fühlt. – Marius, mehr Wut. Maxim ist ein zerrissener Mensch, sehr reizbar. Fahr sie ruhig richtig an.“
Na toll. Ihm gab sie sofort Ratschläge. Wir spielten die Szene noch zwei Mal, und erst beim letzten Mal war Alice zumindest mit Marius zufrieden.
„Okay Anouk, einige Probleme… Was fühlt Ich in dieser Szene?“
Ich versuchte, mich nicht unterkriegen zu lassen, aber ich war tatsächlich etwas frustriert. „Sie will es allen Recht machen“, sagte ich. „Sie ist… ängstlich, dass sie nicht an Rebecca herankommt. Sie will Maxim eine gute Ehefrau sein und stellt ihre eigenen Bedürfnisse unter seine.“ Ich warf Marius einen spaßig-bösen Blick zu. „Ich finde, sie sollte ihm besser etwas Kontra geben, aber sie gibt sofort nach und ist… unterwürfig.“
Alice nickte. „Sehr gut. Warum spielst du das nicht?“
„Hm.“ Ich nagte an meiner Lippe. „Ich weiß nicht… Können wir’s noch einmal versuchen?“
„Sehr gerne.“ Sie gab dem Pianisten ein Zeichen, und wir spielten die Szene noch einmal von vorne.
„Gib dir nicht so viel Mühe!“, rief Alice ein. „Lass dich gehen!“
Ich dachte einen Sekundenbruchteil daran, wie ich mich in Wicked gefühlt hatte oder bei all meinen Vorsingen: ich hatte einfach gesungen. Ich hatte es nicht… zu ernst genommen. Ich schloss kurz die Augen, und als ich sie wieder öffnete, war ich nicht mehr ich, sondern… Ich. (Es war manchmal etwas seltsam, über diese Rolle zu sprechen…)
„Sehr schön, Anouk. So wollte ich es ungefähr haben!“, lautete Alice’ anschließende Kritik. Wir gingen dazu über, an Mrs. Danvers zu arbeiten, und Muriel hatte (zu meiner heimlichen Erleichterung) auch manchmal zu freundliche Brüche in ihrer Mimik.
Es ist schwer zu glauben, aber ich fühlte mich nach diesem Tag auf eine seltsame Weise erschöpft. Wir hatten, wie es der Probenplan verlangte, bis 21 Uhr durchgearbeitet, Szenen durchgespielt, Rollenverhalten erkundet, ausprobiert… Ich hatte das dringende Bedürfnis, ins Bett zu fallen und lange zu schlafen.
„Musst du mit der Bahn fahren?“, erkundigte Janine sich, als wir von Alice entlassen wurden. „Ja“, seufzte ich. „Aber zum Glück muss man hier ja nicht lange auf eine warten.“
„Stimmt, weil ich dich fahre“, erwiderte sie und ließ keinen Widerspruch zu. „Komm, mein Auto steht in der Tiefgarage.“
Ich war Janine sehr dankbar, dass sie mich fuhr. Im Hotel fiel ich unsagbar müde in einen komaartigen Tiefschlaf – ich hatte gerade noch Zeit, in meinen Schlafanzug zu schlüpfen.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Dori » 16.06.2014, 19:03:51

Hallo,

ich habe nun auch alle Teile der Geschichte gelesen und finde sie immer noch sehr interessant. Ich finde, du hast einen tollen Schreibstil (ich könnte so etwas nie). Man könnte wirklich denken, du hast all das mit Proben und so weiter selbst erlebt. Zwischendurch bringst du auch immer wieder kleine witzige Anekdoten mit ein, toll!

Was Daniel betrifft....es gibt sicher noch einige nette Männer in Berlin. ;)

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 16.06.2014, 23:42:00

Schöner Teil - ich weiß, ich wiederholt mich ;)
Du beschreibst die Proben echt toll. Nur, wäre es nicht vielleicht besser, wenn Daniel und Anouk sich vor der Premiere sehen? Sie könnte ihn nach Berlin einladen? Sonst wird die Premiere so schmerzhaft...
Ich freue mich auf die weiteren Proben!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 17.06.2014, 15:43:01

Ja, das mit der Premiere ist mir selbst noch nicht ganz geheuer. Vielleicht sehen sie sich ja noch mal vorher.
@Dori: Schön, dass du mitliest! Proben habe ich tatsächlich schon mal mitgemacht, aber das Stück ist natürlich nicht der Rede wert, wenn man es mit einem "großen" Musical vergleicht...

Schon nach zwei Wochen war die Probe für mich Routine geworden, ebenso der unregelmäßige, sprunghafte Tagesablauf. Zum Glück verstand ich mich sehr gut mit den anderen Ensemble-Mitgliedern. An einem Abend rief meine Mutter bei mir an.
„Liebling, ich versuche schon seit Stunden dich zu erreichen!“, erwiderte sie meine Begrüßung vorwurfsvoll.
„Mama“, sagte ich geduldig, „ich habe Proben. Lange.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber ich dachte, du könntest zwischendurch mal rangehen.“
Meine Mutter war manchmal wirklich witzig. „Nein, natürlich nicht.“
„Ist ja auch egal. Wie läuft es? Wir haben schon so lange nicht mehr telefoniert…“
„Och, ja, ganz gut“, sagte ich. „Wir haben nächsten Samstag Pressekonferenz, sie musste verschoben werden. Vielleicht kann eine deiner Freundinnen dir das Video zeigen, ist bestimmt bald im Internet.“
„Nicht nötig, das kann ich allein“, erwiderte sie fröhlich. Meine Mutter hatte mit Technik nicht viel am Hut. PC-Arbeit musste ich immer für sie erledigen. Daher irritierte ihre Antwort mich. „Selber?“, wiederholte ich.
„Ja. Ich habe mir ein eigenes Konto eingerichtet auf unserem PC. Ich bin jetzt ein richtiger Technik-Freak. Ich surfe jeden Tag. Ich habe einen Computerkurs gemacht, um immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Schließlich bist du ja irgendwie ein bisschen berühmt.“
Dass sie das gemacht hatte, war so lieb von ihr, dass mir ganz warm ums Herz wurde.
„Das ist so lieb von dir, Mama!“, sagte ich ehrlich. „Ich werd mir ganz viel Mühe geben, damit sich auch alles lohnt!“
Ich hielt mein Versprechen.
Am Morgen der Konferenz war ich, gelinde gesagt, aufgeregt. Ich verwendete reichlich viel Zeit darauf, mein Haar ordentlich zu frisieren und mein Outfit zu perfektionieren. Aber schließlich stand ich zufrieden vor dem Spiegel. Zu dem schwarzen, knielangen Rock, schwarzer Strumpfhose und schwarzen Schuhen trug ich eine roséfarbene Bluse und dezenten Schmuck. Auch den Ablauf der Konferenz konnte ich inzwischen auswendig: es würde erst eine Cast-Präsentation geben, anschließend mussten wir natürlich einige Songs singen. Der Befehl von oben lautete, dass Muriel Rebecca singen sollte. Marius und ich würden Hilf mir durch die Nacht zum Besten geben, und zum Schluss Ich hab geträumt von Manderley, wobei mich das gesamte Ensemble natürlich unterstützen würde.
Das Ganze fand in irgendeinem Veranstaltungsraum statt, und ich war froh, dass Marius sich angeboten hatte, mich zu fahren. Wir waren inzwischen so etwas wie Freunde geworden, schätzte ich.
„Wenn du nicht gleich aufhörst, in deinen Noten rumzukritzeln, schmeiße ich dich raus“, drohte er, als wir an einer Ampel standen. (Ja, so etwas sagten tatsächlich nur Freunde zueinander.)
„Ich will nur sicher gehen, dass alles perfekt wird“, entgegnete ich mit matter Stimme.
„Wenn du dir nicht solche Sorgen machst, wird es das“, sagte er überzeugt.
Immerhin waren nicht so viele Reporter da, wie ich befürchtet hatte. Aber nachdem wir alle von einem etwas überdrehten Moderator auf die Bühne gerufen worden waren und Applaus eingeheimst hatten, wuselte die ganze Zeit ein Fotograf um uns herum. Auch, als wir die berühmtesten oder zumindest markantesten Songs sangen. Muriel war großartig, ganz und gar Mrs. Danvers. (Auch wenn Mrs. Danvers niemals ein knallrotes Kleid und offene Haare getragen hätte.) Unser Duett war ebenfalls sehr schön. Ich bemerkte durch meine benommene Nervosität zufrieden, wie glatt mir die Töne inzwischen über die Lippen kamen. Vor mir blitzte die ganze Zeit eine Kamera, und der Raum war erfüllt von andächtigem Schweigen, leisem Flüstern, Stiften auf Papier und unserem Gesang. Ich liebte das Duett, und mit Marius fiel es mir ohnehin sehr leicht. Unsere Stimmen schienen dazu geschaffen zu sein, um miteinander zu agieren. So zumindest schrieben es die Zeitungen und Internetportale. Ich konnte es mir nicht verkneifen, nach der Veröffentlichung der Videos wieder im Netz unterwegs zu sein. Wicked91 meldete sich wieder, diesmal mit Lob: Wow, das ist sehr schön. Gefällt mir viel besser als manch anderer Darsteller. Dorothy gab auch klein bei: Das hätte ich nicht erwartet, wirklich überraschend. Glinda meinte: Hab ich es nicht gesagt? Sie gefällt mir wirklich sehr, bin gespannt, wie sie sich in den Proben machen wird. Nur SimbaLion blieb pessimistisch: Sie hat ja noch ganz schöne Probleme in den Höhen, was? Kann ich nicht verstehen, so was.
Glinda feuerte sofort zurück: Konntest du alles perfekt, bevor du einen Job hattest? Falls du einen hast… wahrscheinlich sitzt du den ganzen Tag auf der Couch und frisst Chips und urteilst in Foren über Menschen, die es weiter gebracht haben als du es jemals bringen wirst! Halt dich mal zurück und denk nach, bevor zu so eine Scheiße schreibst! Dieses Mädchen hat es drauf, das kann ich dir als Gesangscoach klipp und klar sagen!!!
Ich liebte diese Foren. Kichernd schaltete ich den PC aus. Es war Samstagabend, und ich wollte mich gerade ins Bett legen, als ich noch eine Rundmail mit dem Betreff Sightseeing bekam.
Sightseeing morgen, treffen uns um zehn am Theater. Feste Schuhe und dicke Jacken, es soll kalt werden. Ich übernehme die Führung. Anja.
Ich lächelte und schaltete das Handy aus. Voller Vorfreude konnte ich den nächsten Morgen kaum erwarten.

Es war tatsächlich eisig kalt. Ich dachte an meine Mitschüler, die vermutlich jetzt ihren letzten Ferien-Sonntag genossen, ehe morgen wieder die Schule beginnen würde. Und sie taten mir fast ein bisschen leid, weil ihnen so tolle Proben und nette Menschen entgingen. Daniel hatte mir übrigens betont eifrig geschrieben, dass er es auch Ende der Ferien nicht schaffen würde, mich zu sehen. Es gäbe viel zu üben. Er trug mir unseren Streit eindeutig immer noch nach.
Als ich am Theater ankam, warteten bereits viele Leute. Sie scharten sich um Anja, eingepackt in Mäntel, Schals und dicke Mützen.
„Warum muss es im Oktober schon so kalt sein?“, maulte ich. Wie alle anderen war ich über-ängstlich, was das kalte Wetter und die damit verbundene Erkältungsgefahr anging.
„Warte, bis wir unterwegs sind“, meinte Anja. „Mit mir als Stadtführerin kommst du schon bald ins Schwitzen!“
Sie behielt Recht. Wir gingen zu Fuß zum Brandenburger Tor, was mit einer beinahe zwanzig Mann großen Truppe (nicht alle hatten sich bei dem Wetter vor die Tür getraut) schon seine Zeit brauchte. Ich sah mich um und war… überwältigt. Auch wenn der Himmel grau war und es ein wenig nach Regen aussah. Der Platz war überfüllt von Touristen, Fotos wurden überall geschossen. Ich fragte mich, in wie vielen fremden Fotoalben ich wohl versehentlich auftauchen würde. Zum glück hielt Anja keine langen Vorträge über Geschichte, was bei der Kälte auch besser so war. Sie führte uns zu dem Denkmal für die ermordeten Juden, und ich muss sagen… Das ist mein Lieblingsplatz geworden. Auch wenn viele das Denkmal kritisierten: ich mochte die nackten, grauen Steine, sie sich wie Wellen mal hoben, mal senkten. Es war still und irgendwie besinnlich, wenn man zwichen ihnen hindurch lief, entspannend. Den Besuch im Museum sparten wir uns allerdings – hauptsächlich um uns nicht die Stimmung zu verderben. Stattdessen kehrten wir zum Pariser Platz zurück und machten uns bei Starbuck’s breit.
„Weißt du, wo ich gerne mal für meine Rolle recherchieren würde?“, fragte Anja, als wir bei heißer Schokolade und Kuchen an einem Tisch saßen.
„Wo?“, fragte ich. Ihr Blick glitt zum Fenster und ich folgte ihm. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff.
Im Adlon?“, fragte ich entgeistert. Sie nickte träumerisch.
„Ja“, hauchte sie. „Ich bin zwar sicher, dass die Atmosphäre nicht an das Monte Carlo der 1920er reichen wird, aber trotzdem… Ein bisschen übertriebener Chic, und ich könnte Mrs. Van Hopper vielleicht noch mal besser kennen lernen.“
„Warum nicht?“, mischte sich Stefan Kammer (Favell) ein.
„Weil auf dem Schild steht: Nur Zutritt für Gäste“, warf ich ein, aber Anjas Augen nahmen bereits den beunruhigenden Glanz eines nicht ganz ausgereiften Planes an. Sie sah mich an.
„Oh nein!“, stellte ich klipp und klar fest.
„Bitte!“, sagte sie. „Bitte, bitte! Es ist doch auch für dich wichtig, wie Daphne sich gefühlt haben muss!“ (Daphne ist ein Insider. Alice ging es so auf die Nerven, immer von Ich zu sprechen, dass wir meiner Rolle kurzentschlossen den Namen ihrer Autorin andichteten.)
„Ich weiß nicht…“
„Ich glaube, das ist eine gute Idee“, mischte sich Marius ein. „Wenn ihr zu zweit da rein geht und ganz unschuldig dreinschaut, wird euch niemand erkennen.“
Und jetzt begannen sie alle auf mich einzureden. Ich saß da und starrte auf das Hotel, und ich muss zu meiner Schande gestehen: die Aussicht, etwas Verbotenes tun zu dürfen, war… aufregend. Mein kriminell angehauchtes Ensemble schaffte es tatsächlich, mich zu motivieren.
„Eigentlich kann man ja auch keinem verbieten, ein Hotel zu betreten“, meinte Marius noch, bevor wir das Café verließen. „Ich meine… Was, wenn dir die Eingangshalle nicht gefällt? Du würdest ein todunglücklicher Gast sein.“ Er sagte das so ernst, dass ich lachen musste.
„Schon klar.“ Ich sah Anja an, die mit nervösem Grinsen neben mir stand.
„Also“, sagte sie, „wollen wir?“
Ich nickte und kicherte, und dann gingen wir los, auf das Hotel zu.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 17.06.2014, 19:56:27

Oh schon wieder ein neuer Teil, Wahnsinn! Wie machst du das? So regelmäßige neue Teile - bewundernswert! Aber ich freu mich!
Toller Teil, ich freu mich für Anouk, dass sie so tolle Kollegen hat und dass ihre Mama sich so ins Zeug legt, um über sie informiert zu bleiben, das ist klasse. Auch die Einschübe mit den Internetforen gefallen mir sehr gut :) Mach weiter so!
~*Niemand nimmt mir meine Träume und schließt meine Sehnsucht ein, wo es Liebe gab und Freiheit wird mein Herz für immer sein*~

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 19.06.2014, 21:15:14

Gaefa hat geschrieben:Oh schon wieder ein neuer Teil, Wahnsinn! Wie machst du das? So regelmäßige neue Teile - bewundernswert!
Danke :) Ich versuch einfach, jeden Tag zu schreiben - ist ja eh mein größtes Hobby neben dem Theater.

Ich war total nervös, als wir über den Teppich auf die Treppe zugingen. Es lag eine Dreistigkeit in unserem Vorbeigehen am Schild Zutritt nur für Gäste, dass es fast schon lustig war. In einer Sitcom hätte sich dieser Augenblick bestimmt gut gemacht. Ich lief völlig von Sinnen vor Angst neben Anja her, aber die ging völlig auf in diesem Schwindel. Die Pagen an der Türe nickten und grüßten uns freundlich, und sie lächelte und nickte einfach zurück. Wir gingen einfach durch die geöffneten Türen und landeten in einer großen Eingangshalle. Es war irgendwie dämmrig, leises Klaviergeklimper ertönte von irgendwo her, zusammen mit einem eigenartigen Rauschen und dem Klingen von Löffeln an Tassen. Und leises, gesetztes Stimmengewirr. Wir gingen langsam weiter, mit großen Augen staunend, und ich erinnere mich, dass sich von dem Tresen schräg rechts eine Gestalt löste.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte der rot gekleidete Hotelmitarbeiter. Etwas hilflos starrte ich zu Anja, die sich gerade auf ein Gespräch mit einem Gast einließ.
„Ich...“, begann ich, „äh…“
Er deutete meine Unsicherheit falsch. „Die Toiletten“, begann er leise, „befinden sich…“
„Nein, schon gut. Ich wollte sagen – meine Freundin dort und wir… Sehen uns nur ein wenig um.“
Ein leicht misstrauischer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht, und er betrachtete mich genauer. „Sagen Sie, sind Sie hier Gast?“
„Äh…“
„Aber natürlich sind wir das!“ Anja kam auf ihn zu und hielt ihm galant die Hand hin. Ihre Stimme war laut und aufdringlich, und ich schämte mich für sie. Was sollte dieser Auftritt? Schüchtern sah ich mich nach der Frau um, mit der sie geredet hatte. Sie sah reichlich verdutzt aus.
„Sehen Sie ruhig nach, Junge“, sagte Anja von oben herab. „Mrs. Van Hopper, Sie werden sehen, dass wir heute Morgen erst eingecheckt haben.“ Sie legte sogar einen englischen Akzent auf. Ich konnte nichts weiter als glotzen und mich nervös fragen, was wohl passieren würde. Würde man die Polizei rufen? Tausend skurrile Szenen tanzten vor meinem inneren Auge.
„Mrs. Van Hopper?“, wiederholte der Page. Er klang nicht überzeugt.
„Aber ja. Sag mal, in welchem Hotel sind wir hier gelandet?“ Sie sah mich ungeduldig an.
„Hier ist das Adlon, Mrs. Van Hopper“, antwortete ich leise. Ich hatte mich dazu entschieden, das ganze Theater einfach mitzuspielen.
„Du lieber Himmel!“, rief sie so schrill, dass einige Gäste neugierig aufsahen. „Wir wohnen doch im Ritz! – Es tut mir außerordentlich leid, Junge. Na komm, komm schon!“ Sie drehte sich um und lief nach draußen, und ich eilte ihr nach, kurz vor einem monumentalen Lachanfall. Atemlos überquerten die Straße, blieben stehen, sahen uns an – und brüllten vor lachen.
„Sein Gesicht!“, rief ich, „hast du sein Gesicht gesehen?“
„Und die Gäste!“, erwiderte sie. „Total entgeistert!“ Sie wischte sich einige Lachtränen weg und beruhigte sich langsam. Nach und nach stieß der Rest unseres Ensembles zu uns, und wir berichteten ihnen haarklein von unserem Erlebnis. Natürlich zogen wir es etwas ins Lächerliche.
Und trotzdem wurde mir eines klar. Ich hatte gerade eine einmalige Erfahrung gemacht: ohne es zu wollen, war ich mit meiner Rolle verschmolzen. Ich erkannte es erst, als wir auf dem Rückweg waren. Es begann langsam zu regnen, und Anja holte mich ein. Schweigend liefen wir für eine Weile nebeneinander her. Hatte sie mir helfen oder einfach nur Spaß haben wollen? Was auch immer – sie hatte mir auf jedenfalls geholfen. Sehr sogar. Diese Peinlichkeit dieses einen, nicht enden wollenden hilflosen Momentes… Das alles machte mir klar, wie schwer meine Rolle an ihrer Unsicherheit zu tragen hatte. Ich sah Anja an.
„Danke“, sagte ich, aber sie lächelte nur.

Es waren noch genau zwei Monate bis zur Premiere am 16. Dezember, als Alice uns mit Neuigkeiten konfrontierte, bei denen mir das Herz in die Hose rutschte: die Premiere sowie die beiden darauffolgenden Spieltermine waren komplett ausverkauft. Ich stand gerade auf der Bühne und machte Atemübungen. Unruhig ließ ich meinen Blick durch die vielen, noch leeren Reihen vor mir gleiten. Wie würden sie wohl aussehen – gut gefüllt? Stimmen überall, Händeklatschen, wenn das Licht ausging… Ich starrte Marius an, aber der schien ganz gelassen. Ich beschloss, dass es zu früh für Lampenfieber war, und versuchte mich auf unsere Proben zu konzentrieren – was an diesem Tag aber auch alles andere als einfach war. Alice arbeitete gerade an der Beziehung zwischen Maxim und Ich, und nach langen gemeinsamen Interpretationen waren wir nun schon so weit, dass wir uns an Kein Lächeln war je so kalt wagen konnten.
„Okay, dreißig Minuten Pause!“, rief Alice, und ich war reichlich erleichtert über den Aufschub. Ich nahm mir ein paar Kekse aus der Box, in der wir verschiedene Lebensmittel horteten (die nicht immer so gesund waren, wie sie taten), und verzog mich auf Platz 14 in Reihe 3, mein Stammplatz. Wieder und wieder las ich das Skript durch.
Maxim: Sieh’ mich an. Das Kind in deinen Augen ist verschwunden.
Ich: entschlossen Ja. Ich werde nie mehr ein Kind sein.
Maxim: nach einer kurzen Pause; erschöpft Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?
Ich: Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr!
Sie fallen sich in die Arme und küssen sich.
Ich nagte an meinem Daumen und lugte durch die Reihen. Marius war natürlich nicht zu sehen, und ich wusste auch nicht, wie ich mit ihm darüber reden sollte. Allerdings huschte Muriel gerade durch die Reihe vor mir.
„Hm, Muriel?“, rief ich. „Kannst du mir vielleicht helfen?“
Sie ließ sich auf den Sitz neben mir fallen. „Was gibt’s?“
Ich hielt ihr stumm das aufgeschlagene Heft hin.
„Ganz ehrlich“, sagte ich, „ich habe keine Ahnung, wie ich… Ich meine, ich muss ihn doch irgendwie fragen, wie das für ihn okay ist, oder? Ich will nicht prüde wirken, aber, na ja…“
Sie gab mir das Skript zurück. „Manchmal ist es besser, nicht darüber zu reden“, sagte sie nach einer kurzen Pause. „Es ist doch wie im echten Leben: ihr sprecht euch vorher nicht ab, ihr küsst einfach.“ Sie lachte über diesen Vergleich. „Du musst es natürlich für dich entscheiden, aber… Ich weiß aus Erfahrung, dass gerade dieses Absprechen furchtbar unsicher macht. Es passiert nicht mehr einfach so, sondern wirkt… kontrolliert. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Marius und Alice nichts darüber gesagt haben.“
Ich seufzte. „Danke, Muriel“, sagte ich, auch wenn ich noch nicht sicher war, was ich mit diesem Rat anfangen sollte.
Die Pause ging vorüber, und glücklicherweise erschien die Choreographin und holte das Ensemble ab, um mit ihnen Strandgut zu proben. So war ich wenigstens diese Augenpaare los.
Wir spielten die Szene, und ich fühlte mich ganz gut dabei. Ich versuchte einfach, ganz meiner Rolle nachzufühlen, und mit Marius, der wirklich fabelhaft verzweifelt und wütend und fertig mit sich und der Welt war, konnte ich gar nicht anders. Er riss mich wirklich mit. Alice unterbrach uns nicht, als mein gefürchteter Dialog kam. Marius stand vor mir, in sich zusammengesunken.
„Sieh mich an“, sagte er leise und hob mein Kinn mit den Fingern an. „Das Kind in deinen Augen ist verschwunden.“
„Ja“, sagte ich fest, und er ließ mich los. „Ich werde nie mehr ein Kind sein.“
Er wandte sich ab, und sein Gesicht wurde abermals eine Maske von hilfloser Verzweiflung.
„Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?“ Völlig am Boden zerstört. Von sich selbst angeekelt.
„Ich liebe dich!“, rief ich. „Ich liebe dich so sehr!“
Er sah mich an und fiel mir in die Arme, und dann musste ich plötzlich kichern. Ich kam mir dabei furchtbar albern vor, aber meine Anspannung, die ich für ein paar kostbare Minuten völlig vergessen hatte, kehrte wieder zurück.
„Oh nein, Entschuldigung!“, sagte ich und merkte, dass ich rot wurde.
„Noch mal ab Kannst du mir ins Gesicht sehen“, rief Alice unbeeindruckt von ihrem Platz aus.
„Sorry, tut mir leid“, murmelte ich zerknirscht, aber Marius winkte ab. Er nahm wieder seine Position ein, und ich auch.
„Kannst du mir ins Gesicht sehen und sagen, dass du mich noch liebst?“, wiederholte er. Ich sah ihn an. „Ich liebe dich!“, rief ich. „Ich liebe dich so sehr!“
Diesmal klappte es tatsächlich. Wir fielen uns in die Arme und küssten uns, und es war nicht halb so schlimm, wie ich gedacht hatte. Natürlich hatte Alice noch einige Dinge zu perfektionieren, und wir spielten die Szene so lange, dass sie wie alle anderen zu einer Art unbeständiger Routine wurde. Sogar der Kuss war irgendwann nur noch ein Kuss. Nichts wirklich besonderes. Wir lachten sogar darüber, wenn es komisch wurde. Das ist wichtig – alles ins Lächerliche ziehen, um sich nicht zu schämen. Und wieder einmal ging ich mit dem beflügelnden Gefühl nach Hause, über mich hinausgewachsen zu sein.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Eponine Thénardier » 19.06.2014, 22:35:58

Ich lese auch regelmäßig mit, leider komme ich nicht immer dazu einen Kommentar zu schreiben. :oops:

Mir gefallen alle Berlinteile sehr gut - allerdings habe ich meine Meinung zu Daniel geändert, jetzt wäre es mir fast lieber, wenn sie ihn in den Wind schießt. :(
Besonders die Beschreibung von der Adlon-Aktion hat mir gut gefallen, ich konnte ihr Unwohlsein und das Begreifen, wie sehr Anja ihr damit geholfen hat, richtig spüren. Weiter so! :clap:

Eine Frage noch: Ich fand bei den Wicked-Teilen, dass Mara so eine sympathische Figur ist - hören wir noch mal was von ihr? :)
"IF LIFE WERE MORE LIKE THEATRE, LIFE WOULDN'T SUCK SO MUCH!" (Opening der Tony Awards 2012)


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