Gaefa hat geschrieben:Ein schöner Teil! Mal sehen, was das zweite Jahr so mit sich bringt. Für Anouk und Daniel seh ich irgendwie schwarz. Allein die Tatsache, dass sie ein Jahr Trennung scheinbar problemlos überstanden haben, ist allerdings erstaunlich
Der folgende Teil bringt diesbezüglich ein wenig Licht ins Dunkel... oder auch nicht
Jedenfalls viel Spaß beim Lesen. Es würde mich freuen, wenn ein paar mehr Kommentare geschrieben werden... Die 781 Zugriffe stammen doch wohl nicht alle von Gaefa?
Grüne Felder und blauer Himmel zogen vor dem Fenster vorbei, in dem sich mein Gesicht spiegelte. Die Scheibe war zerkratzt und beschmiert, und tausend Aufkleberreste klebten daran wie Puzzlestücke.
Ich saß im Zug nach Hannover, einem schnarchenden Mann gegenüber, und ließ die vergangenen Sommerferien Revue passieren…
Sie hatten vielversprechend angefangen: der Urlaub an der Ostsee entpuppte sich als wahre Bereicherung für meine Nerven, die trotz aller Freude an der Schule zum Reißen gespannt waren. Nach ein paar Regentagen spielte sogar das Wetter mit, und meine Mutter und ich verbrachten die Tage am Strand oder unternahmen lange Spaziergänge, vorbei an Dünen und Gräsern. Entspannt und glücklich kehrte ich also nach Hause zurück, mit dem sehnlichsten Wunsch, Daniel endlich wiederzusehen. Doch als ich mein Zimmer betrat, das seltsam unpersönlich geworden war, seit ich in Hannover wohnte, beschlich mich ein schlechtes Gewissen: an der Ostsee hatte ich kaum daran gedacht, zu trainieren oder zu üben.
„Es tut mir so leid, Daniel. Ich würde dich gerne sehen, aber… ich habe total wenig getan im Urlaub“, antwortete ich daher reichlich zerknirscht auf seinen enthusiastischen Anruf „Wann sehe ich dich endlich wieder?“
„Oh“, machte er, aber schon im nächsten Augenblick kam ihm eine Idee. „Hey, wie wär’s, wenn wir einfach zusammen üben?“
„Zusammen?“, wiederholte ich zögernd. Sagte man nicht, dass Paare niemals gemeinsam arbeiten sollten? – Andererseits würden wir nicht direkt arbeiten, sondern uns auf das kommende Schuljahr vorbereiten…
„Ja“, bestätigte er begeistert. „Dann können wir zur Hälfte lernen, und zur anderen Hälfte… irgendwas machen. Ich hab zum Beispiel noch einen Kinogutschein.“
„Okay“, willigte ich schließlich ein. Und machte Daniel damit augenblicklich zum glücklichsten Menschen der Welt.
„Ich freu mich jetzt schon“, sagte er. „Du kannst mir bestimmt viel beibringen, was mir einen kleinen Vorteil verschafft.“
Diesen Satz sollte er bald bitter bereuen.
Ich musste ein wenig lächeln, als ich an unsere erste gemeinsame „Probestunde“ dachte: das gute Wetter lud dazu ein, es sich in seinem Garten gemütlich zu machen, und als wir in der alten Hollywood-Schaukel saßen, holte mich fast wieder die Faulheit ein. Aber nur fast.
„Also“, sagte ich und löste mich aus seiner Umarmung, „legen wir los.“ Ich war plötzlich ganz kribbelig, weil ich ihn unterrichten konnte. „Welches Lied hast du bei der Aufnahmeprüfung gesungen?“
„
Dies ist die Stunde“, antwortete er, „aus
Jekyll und Hyde.“
„Sing’s mir mal vor!“, bat ich ihn. Er tat es, und bei seiner Stimme schmolz ich einerseits dahin, aber andererseits bemerkte ich auch Fehler, die mir vorher nie aufgefallen waren.
Wir machten uns also daran, an seiner Stimme zu arbeiten. Etwa zwei Wochen lang ging das Ganze gut: wir übten Duette ein und sangen sie zum Spaß, verzerrten unsere Stimmen am PC und träumten im warmen Gras von unserer erfolggekrönter Zukunft.
Doch zum Ende der Ferien wurde Daniel immer gereizter. Ich schob es auf meine baldige Abfahrt und neckte ihn sogar, dass es in der Ausbildung kein Zuckerschlecken werde. Aber es besserte sich nicht.
„Komm schon, Daniel“, rief ich ihm von der Hollywood-Schaukel aus zu. Bis eben hatte er unsere Stunde, die er sich ja selber gewünscht hatte, erfolgreich mit Tischtennis und langen Küssen hinausgezögert. Aber nachdem ich ihn an sein Vorhaben und seine Motivation erinnerte, gab er seufzend nach. „Du hast ja Recht“, meinte er und gab mir eine dankbare Umarmung.
Jetzt war von seiner Dankbarkeit nicht mehr viel übrig.
„Ich schaff’s halt nicht“, nörgelte er reichlich genervt. „Können wir nicht etwas anderes machen?“
„Das sagst du ständig“, erwiderte ich und griff nach der Limonade, die seine Mutter uns gebracht hatte. „Aber wenn’s später im Gesangsunterricht nicht klappt, kannst du auch nicht einfach aufgeben.“
„Später, später, später!“, rief er. „Du hörst dich wirklich an wie eine verschrobene Pädagogin!“
„Und du wie ein halbpubertärer Teenie“, hielt ich böse dagegen, gekränkt durch diesen unschmeichelhaften Vergleich. „Komm schon, das Lied ist toll“, versuchte ich dann, ihn versöhnlich zu stimmen, und hievte mich auf die Füße. „Diesmal mache ich auch mit.“
Wir hatten uns als Abschluss entschieden,
Wenn ich tanzen will einzuüben, weil ich das Lied liebte. Aber entweder konnte Daniel den Text nicht, oder er sauste haarscharf an den richtigen Tönen vorbei. Wir begannen noch mal von vorn, aber er war nach diesem Vorfall unkonzentriert und nicht bei der Sache.
„Wenn du keine Lust mehr hast, können wir es auch sein lassen“, unterbrach ich genervt.
„Das sage ich dir doch schon die ganze Zeit“, entgegnete er, halb verwirrt, halb gekränkt.
„Immerhin war es deine Idee, dass wir zusammen proben.“
„Hätte ich gewusst, dass du es so ernst nimmst…“, murmelte er.
„Natürlich nehme ich es ernst!“, rief ich. „Die Ausbildung ist mir wichtig, ich will dir helfen!“
„Ja, klar“, erwiderte er sarkastisch.
„Was soll das heißen?“ Bei meinem scharfen Ton flog ein Vogel im Gebüsch auf und flatterte erschrocken davon.
„Na ja“, meinte er und schob die Hände in die Hosentaschen. „Manchmal kommt’s mir halt so vor, als würdest du nur vor mir angeben wollen.“
Dieses Geständnis machte mich für einen Moment sprachlos. Angeben?
Ich? Kannte er mich tatsächlich so wenig? Ich sah ihn an und bekam Mitleid mit ihm. Er schien sich wirklich für zu schlecht zu halten. Ich ging auf ihn zu und legte die Arme um ihn.
„So ein Quatsch!“, sagte ich leise und lehnte mich an ihn. „Du weißt ganz genau, dass ich das nie tun würde. Es macht mir unheimlich Spaß, mit dir zu proben. Lass dich bloß nie unter Druck setzen! Auf der Schule wirst du später ganz viele haben, die – “
Er stieß einen Seufzer aus, der Bände sprach, und schob mich von sich.
„Da tust du’s schon wieder“, beschwerte er sich.
„
Was denn?“ Allmählich begann ich, wirklich wütend zu werden. Ich wollte ihn unterstützen, und er stellte sich an wie ein Baby!
„Du belehrst mich!“ Er ging auf Abstand. „Immer höre ich nur später, auf der neuen Schule, die anderen, da musst du drüber stehen, blablabla!“ Frustriert trat er gegen einen Gartenstuhl, der ratschend über den Boden rutschte.
„Aha,
das sind meine Tipps für dich? Blablabla?“ Ich stemmte die Hände in die Hüften.
„Manchmal schon, ja!“, schleuderte er mir entgegen. „Ich wollte locker proben, und du quälst mich mit irgendwelchen langweiligen Techniken…“
„Weil die auch wichtig sind!“, schnappte ich. „Oder glaubst du, es tut dir gut, wenn du ständig unaufgewärmt singen willst?“
„Ich will doch alles gar nicht so ernst nehmen!“, rief er hilflos.
„Das klang am Telefon aber
ganz anders! Du bist selbst Schuld, wenn du unzufrieden willst – du hast mich ja regelrecht zu diesen Stunden gezwungen!“
„Jetzt verdrehst du’s aber zu deinen Gunsten!“
„Pft“, machte ich, weil mir keine Erwiderung mehr einfiel. Um ihn nicht länger ansehen zu müssen, wandte ich mich um und trank meine Limonade auf. Die Kühle tat mir gut, und ich konnte wieder klarer denken.
„Hör mal“, sagte ich betont ruhig und drehte mich um. „Ich versteh’s, wenn du irgendwie… wie soll ich sagen… neidisch bist, aber – “ Ich verstummte, als ich seinen Blick bemerkte, und mir wurde heiß und kalt.
„Neidisch? Auf dich?“, wiederholte er fassungslos und wütend zugleich. „Als ob ich das nötig hätte! Ich bin ganz zufrieden mit mir, glaub mir!“ Er klang so abweisend und kühl, wie ich es noch nie erlebt hatte, und ich erkannte, dass ich ihn mit meiner falschen Wortwahl auf eine gewisse Weise erniedrigt hatte.
„Das hatte ich nicht so gemeint! Bitte, stell dich nicht so an, ich will dir nur erklären – “
„Ich hab genug von deinen Erklärungen!“, schnitt er mir laut das Wort ab. „Auf deinen Unterricht kann ich getrost verzichten, wenn er nur aus irgendwelchen dummen Ansprüchen und Zurechtweisungen besteht. Und wenn du mit meiner Stimme nicht zufrieden bist, dann schrei einfach weniger, dann hörst du, dass ich ganz okay klinge!“
Das saß. Alles, was er davor gesagt hatte, hätte ich verkraften können. Aber das mit meiner Stimme… stimmte einfach nicht. Sofort stellten sich alle Stacheln bei mir auf.
„Ich habe nie etwas an deiner Stimme auszusetzen gehabt!“, fauchte ich. „Jetzt verdrehst
du alles! Es stimmt nicht, was du sagst, und das weißt du. Und wenn du meine Stimme beleidigst… dann… dann… dann beleidigst du mich, weil meine Stimme mich ausmacht und mir was bedeutest!“ Ich schnappte nach meiner Tasche und stürmte durch den Garten.
„Jetzt sag ich dir mal was:“, schrie ich und riss die Haustüre auf. Das besorgte Gesicht von Daniels Vater schaute mir entgegen, den Schlüssel schon in der Hand, aber ich beachtete ihn gar nicht. Ich war auf 180. „Wenn das deine Einstellung ist, dass diese Techniken dummes Zeug sind, dann wünsch ich dir jetzt schon viel Erfolg beim Versagen. Und noch was:
als Schüler kannst du mir echt gestohlen bleiben!“ Ich schrie ihm die letzten Worte so laut entgegen, dass es in meinen Ohren klingelte, dann schlüpfte ich an seinem Vater vorbei und rannte die Straße hinunter, wo ich gerade noch den nächsten Bus erwischte. Trotz aller Wut und meinen enttäuschten Tränen lugte ich hoffnungsvoll aus dem Rückfenster. Aber Daniel folgte mir nicht.
Die Ferien hätten tatsächlich besser sein können. Unsere Verabschiedung war Wiedergutmachung zugleich, aber sie fiel kühl aus und zeugte von beiderseitiger Verletzung, Kränkung und Wut. Ich zwang mich, nicht daran zu denken, als ich durch die Stadt ging, langsam, und nach meinem Haustürschlüssel kramte. Aber trotz der netten Begrüßunge meiner Mitbewohner samt selbst gebackener Torte, die einem auf der Zunge zerging, fühlte ich mich unwohl und wollte nur noch allein sein. Als ich endlich in meinem Zimmer saß, konnte ich es plötzlich kaum mehr abwarten, endlich wieder Schule zu haben. Die würde mich wenigstens von meinem Liebeskummer ablenken.
Denn Liebeskummer hatte ich, und zusammen mit Scham und Wut konnte ich mich selbst nicht ausstehen.