Zwischen Traum und Wirklichkeit

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Kitti
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 27.01.2012, 20:09:12

Schön, dass du uns so schnell eine Fortsetzung präsentierst. Ich bin auch gespannt, was sich für sie ergeben wird und die Stelle mit Martin finde ich irgendwie niedlich. Nur weiter so!
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Christine
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 30.01.2012, 17:48:22

Vielen lieben Dank für eure Kommis :) Hab den nächsten Teil doch schon bis heute geschafft. Nächste Fortsetzung folgt wahrscheinlich Mittwoch. Viel Spaß erstmal damit :)



Jan wartete schon draußen, als ich vor seinem Wohnblock hielt und ihn einsteigen ließ. „Morgen! Gut geschlafen?“, begrüßte er mich gut gelaunt und ignorierte geflissentlich die Digitaluhr in meinem kleinen Wagen, die immerhin schon halb 3 Nachmittags anzeigte.
„Es ging so, danke“, erwiderte ich und fuhr los. „Und selbst?“ „Könnte nicht besser sein“, strahlte er.
Ich bog in die nächste Straße ein und sah in misstrauisch von der Seite an. „Du hast sogar für deine Verhältnisse erschreckend gute Laune…“ Jan grinste nur noch mehr. „Tja. Rate, woran es liegt.“ Ich überlegte. Im Grunde konnte es alles Mögliche sein, aber so glücklich machte normalerweise nur… „Neue Beziehung?“, riet ich. „Volltreffer!“ Mein Kollege strahlte über das ganze Gesicht und ich fragte mich, ob sein Lächeln wohl noch breiter werden konnte.

„Wow… Glückwunsch“, gratulierte ich ihm. „Wie heißt sie? Wie sieht sie aus? Wo kommt sie her? Ich will alles wissen!“
„Also.“ Jan räkelte sich gemütlich in meinem Beifahrersitz und begann zu erzählen, als er eine gemütliche Position gefunden hatte. „Sie heißt Yvonne, ist Musikstudentin hier in der Stadt und möchte auch mal ins Musicalbusiness…“ „Studentin? Wie alt ist sie denn?“, unterbrach ich ihn. Der fast dreißig Jahre alte Jan traf sich normalerweise nicht mit viel jüngeren Studentinnen. „Keine Sorge.“ Er lachte. „Sie ist sechsundzwanzig; macht diesen Sommer ihren Abschluss. Vorher hat sie irgendwas anderes studiert; deswegen ist sie noch nicht fertig.“
Auf meinen neugierigen Blick hin fuhr er fort. „Also gut, wie gesagt, sie will auch Musicaldarstellerin werden, tanzt auch seit Jahren, singt… Ist übrigens sehr beweglich“, fügte er mit einem vielsagenden Zwinkern hinzu. Ich verzog das Gesicht. „So sehr ich mich für dich freue – keine Details, bitte…“
„War nur ein Scherz, Lia. Also, sie ist ungefähr so groß wie du, hat blonde Haare – ich glaube, gefärbt, aber sicher bin ich nicht – und `ne ziemlich gute Figur…“

Bis wir auf den Theaterparkplatz fuhren, erzählte Jan noch von seiner neuen Freundin. „Das klingt ja echt interessant“, meinte ich, als wir ausstiegen. „Aber wie lange geht das denn jetzt schon? Gestern hast du doch noch kein Wort davon erwähnt.“ Ich sperrte ab und steckte die Autoschlüssel ein. „Naja…“ Jan wand sich unter meinem Blick. „Ich hab sie gestern Abend erst kennengelernt“, gab er unter meinem strengen Blick schließlich zu.
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Und ihr seid schon zusammen?“ „Es war eben Liebe auf den ersten Blick“, rechtfertigte er sich. „Außerdem bin ich dir doch keine Erklärung schuldig, oder?“, fügte er trotzig hinzu. „Nein, natürlich nicht.“ Ich seufzte. „So war das doch nicht gemeint. Aber… Du solltest es trotzdem ruhig angehen lassen. Ist nur ein gut gemeinter Rat.“ Jan sah mich versöhnlich an. „Ich weiß doch. Ist schon okay, ich weiß ja, was du meinst. Naja, auf geht’s. Wir wollen doch nicht zu spät kommen, oder?“
Ich sah auf die Uhr. In nur etwas über einer Stunde sollte es losgehen, und wir mussten beide noch in die Maske und uns einsingen!
Ich lief hinter Jan her zum Bühneneingang.

Die heutige Vorstellung lief gut. Wir hatten zwar nur sehr selten Patzer oder Versprecher, aber auch das Publikum spielte jeden Abend eine Rolle und das heutige war einfach perfekt – ergriffenes Schweigen an den richtigen Stellen, Lachen über die richtigen Witze und rauschenden Applaus: Für „Wenn ich tanzen will“ bekamen Jan und ich sogar Standing Ovations, die wir an den meisten Tagen erst zum Schlussapplaus hatten.

Aber etwas war anders. Obwohl sich im Grunde nichts verändert hatte; die gleiche Bühne, die gleichen Kollegen, die gleiche Musik – ich fühlte mich unwohl, unruhig. Als würde etwas passieren, auch wenn ich nicht wusste, was. Es war, als hätte ich zum ersten Mal seit Jahren wieder Lampenfieber.
Entschlossen schüttelte ich das seltsame Gefühl ab.

In der nächsten Szene – der „Totenklage“ – plötzlich merkte ich, was anders war. Während meiner Worte „Komm, süßer Tod… Verfluchter Tod…“ sah ich es – oder besser gesagt, ihn. Der Mann aus meinem Schlafzimmer von gestern Abend saß in der ersten Reihe. Warum hatte ich ihn nur nicht schon früher bemerkt? Und vor allem: Ich hatte letzte Nacht nicht geträumt. Vor Schreck versagte mir bei der nächsten Zeile, „erlöse mich“, beinahe die Stimme und ich betete, dass das Publikum das als Ausdruck der Verzweiflung interpretierte.

Für den Rest der Vorstellung verdrängte ich entschlossen alle Gedanken, konzentrierte mich nur auf meine Rolle und vermied jeden Blick auf diesen Platz in der ersten Reihe.

Nach dem Schlussapplaus verschwand ich schnell in meine Garderobe und schloss demonstrativ die Tür. Oft ließ ich mir von einer Maskenbildnerin mit der Perücke helfen, doch heute schickte ich sie mit einem gezwungen freundlichen Lächeln und irgendeiner Ausrede weg.
Meine Finger zitterten, als ich die Haarnadeln löste.

Ich musste allein sein und nachdenken.

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Sisi Silberträne » 30.01.2012, 18:20:15

Oha, also das ist jetzt eine interessant. Ich glaube ja nicht, dass Visionen in einem Theater zu sitzen pflegen.

Ich bin schwerst neugierig, was es mit dem Kerl auf sich hat! Also bitte weiter :)
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 30.01.2012, 20:38:30

Ich kann deiner Hauptfigur irgendwie nur zustimmen, was die neue Freundin von Jan angeht. Wer weiß, ob sie ihn nicht nur ausnutzt, um an gute Rollen zu kommen. ;) Ansonsten bin ich auch sehr gespannt, wie es mit dem geheimnisvollen Gast im Theater weitergehen wird!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Gaefa » 30.01.2012, 21:08:33

Schöner Teil und eine sehr passende Stelle, an der du den Tod wieder auftauchen lässt.
Ich bin gespannt wies weiter geht!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 01.02.2012, 18:55:56

Vielen Dank für eure lieben Kommis :) Heute wie versprochen die nächste Fortsetzung. Ist leider wieder nicht so arg lang, aber für mehr hat meine Kreativität heute nicht gereicht... Trotzdem viel Spaß :)



Das Geplauder und die Schritte der anderen Darsteller, die sich jetzt im Backstage-Bereich umzogen und abschminkten, drangen an meine Ohren, aber ich schenkte ihnen keine Beachtung. Schon seit fast einer Viertelstunde war ich fertig – meine Haare waren wieder meine eigenen, das Theater-Makeup war entfernt und ein dezentes neues aufgetragen und ich trug wieder meine ausgebleichte Jeans und den schlichten Pullover, in dem ich heute Nachmittag hergekommen war.

Trotzdem wollte ich nicht nach draußen gehen. Ich genoss die Ruhe und die Zeit für mich allein. Draußen wartete wieder die laute, hektische Theaterwelt. Zwar liebte ich die Ausstrahlung und das besondere Gefühl hinter der Bühne, aber manchmal – so wie heute – wurde es mir auch zu viel. Dann blieb ich allein in meiner Garderobe und ließ meine Gedanken wandern, von einem Thema zum nächsten, bis ich ganz von allein in die Wirklichkeit zurückkehrte und mich manchmal erholter fühlte als nach vielen Stunden Schlaf.

Aber heute klappte das nicht so wie sonst. Immer wieder blieben meine Gedanken bei meinem seltsamen Besucher hängen, den ich heute im Theater wieder gesehen hatte. Im Grunde, zu diesem Schluss war ich gekommen, gab es genau zwei Möglichkeiten: Entweder er war verrückt – ein Stalker mit Wahnvorstellungen und narzisstischer Persönlichkeit. Oder so ähnlich. Die zweite Möglichkeit, dass ich verrückt war. Dann wäre er meine Wahnvorstellung und nicht umgekehrt.

Oder, flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf, vielleicht ist er doch wirklich der Tod. Was weiß man schon darüber? Vielleicht ist es einfach eine Art energetische Macht, so wie Gott, und mir erscheint er eben als junger Mann, weil ich das von dem Musical schon so kenne und vielleicht eher glaube… Und ihn eher attraktiv finde als einen buckligen alten Sensenmann…
Ich schüttelte den Kopf. Es war alles so durcheinander. Im Grunde waren alle drei Möglichkeiten Blödsinn. Ich seufzte. In was war ich da nur hineingeraten?

Ich beschloss, mich erst einmal auf andere Dinge zu konzentrieren. Es wurde Zeit, in den Alltag vor meiner Garderobentür zurückzukehren.
Nach Hause zu fahren lohnte sich zwar nicht – Jan und ich würden ausnahmsweise beide Shows, also auch noch die Abendvorstellung, übernehmen –, aber trotzdem war ich froh, für eine Stunde wieder ich zu sein. Ich hätte ohnehin neu in die Maske gemusst; schließlich hatte ich als junge Sisi eine andere Perücke als kurz vor meinem – Pardon, ihrem – Tod, und auch die geschminkten Falten der älteren Elisabeth mussten durch ein jugendliches Makeup ersetzt werden.

Ich sah auf die Uhr und seufzte. Langsam musste ich meine Garderobe verlassen: Die Fans warteten draußen und außerdem hatte ich Jan versprochen, in der Pause mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen, damit er mir seine neue Freundin vorstellen konnte.

Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare – meine Haarbürste hatte ich vergessen, also ordnete ich sie mit dem Fingern, um wenigstens halbwegs normal auszusehen – und trat auf den Gang hinaus.
Kurz vor der Backstage-Tür, die nach draußen führte, fing Jan mich ab. „Hey, da bist du ja!“, holte er mich atemlos ein. „Hab mich schon gewundert, wo du hin verschwunden bist.“
Ich wurde rot und murmelte etwas von meiner Perücke, aber Jan hörte zum Glück gar nicht zu. „Wollen wir? Sie wartet schon draußen“, lächelte er und schwenkte sein Handy mit der entsprechenden SMS. „Klar.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln und so traten wir gemeinsam ins Freie.

Einige Minuten lang waren wir von Fans umringt.
Ungezwungen in die Kamera zu lächeln und mich freundlich mit ihnen zu unterhalten, war mir noch nie so schwer gefallen wie heute. Immer noch kreisten meine Gedanken um denjenigen, der behauptete, er wäre der Tod. Der heute im Publikum gesessen hatte. Und gestern Abend direkt vor meinen Augen wie von Zauberhand aus meinem Schlafzimmer verschwunden war – genauso wie er dort hineingekommen war.

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Gaefa » 01.02.2012, 19:49:58

Schöner Teil, aber schnell weiter, du machst es immer noch spannend, was es mit seinen besuchen auf sich hat!!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 01.02.2012, 20:09:34

Ui, es geht schon weiter! Wie schön! Wie Gaefa schon sagte, du machst es spannend, also schnell eine Fortsetzung posten! ;)
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 04.02.2012, 16:15:05

Vielen Dank für eure Kommis :) Hier die Fortsetzung. Viel Spaß bzw. bei diesem Kapitel vielleicht eher "interessantes Lesen"... Um Kritik/Verbesserungsvorschläge wird gebeten ;)



Es gibt Tage, da ist einfach alles seltsam, überlegte ich, als ich mit Jan und seiner neuen Freundin im Café saß und mir seit gefühlten drei Stunden ihre Lebensgeschichte anhörte. Ein verstohlener Blick auf die Uhr verriet mir, dass erst die halbe Mittagspause vorbei war – also noch einmal eine halbe Stunde. Beziehungsweise, noch einmal gefühlte drei Stunden. Mindestens. Ich seufzte leise.

Diese Yvonne schien ja ganz nett zu sein, auch wenn sie rein äußerlich mit ihren platinblonden Haaren und den 15-Zentimeter-Absatz-Schuhen nicht mein Typ gewesen wäre… Zum Glück musste sie ja nur Jan gefallen und nicht mir. Aber trotz ihrer Freundlichkeit hoffte ich inständig, dass sie bei einem vorgegebenen Bühnentext anregender zu erzählen wusste als gerade im Café. Sonst würde sie es im Musicalbusiness nicht besonders weit bringen.
Ich unterdrückte ein Gähnen und nahm noch einen Schluck von meinem Cappuccino. Vielleicht würde der mich wachhalten.

„…und so bin ich schließlich hier gelandet“, erzählte Yvonne gerade und lächelte mich strahlend an. Ich erwiderte ihr Lächeln höflich. „Das klingt ja wirklich interessant. Schön, dass du etwas gefunden hast, was dich so sehr interessiert.“

Über das „Du“ stolperte ich ein wenig, aber Yvonne hatte mir schon bei der Begrüßung verboten, sie zu Siezen. „Wir werden uns so oft sehen wegen Jan, da käme ich mir sonst komisch vor“, hatte sie gestrahlt.
Obwohl ich optimistische Menschen normalerweise sehr schätzte (als Künstler traf man solche nicht besonders oft; zumindest nicht unter Kollegen), kam mir Yvonnes Fröhlichkeit beinahe unnatürlich vor. Aber gut… Besser zu fröhlich als zu wenig fröhlich. Oder so ähnlich.

„Ja, das Musikstudium ist wirklich interessant, vor allem gesanglich bin ich sehr gefordert“, erzählte Yvonne weiter und ich verpasste mir innerlich selbst eine Kopfnuss, weil ich ihr auch noch eine Vorlage zum Weitererzählen gegeben hatte. „Aber auf Dauer möchte ich vielseitiger werden; deshalb interessiert mich das Musicalfach ja so. Diese Kombination aus Tanz, Gesang und Schauspiel ist wirklich faszinierend. Und als ich neulich euer Elisabeth gesehen habe, mit Jan und dir in den Hauptrollen – also, das war unglaublich. Ich möchte auch einmal so eine Ausstrahlung bekommen“, lächelte sie und drückte mit einem verliebten Blick zur Seite Jans Hand.

Beinahe hätte ich erwidert, dass man Ausstrahlung nicht lernen konnte – sie war eins dieser Talente, das man eben hatte oder nicht. Aber das klang in meinen Augen arrogant, also lächelte ich sie unverbindlich an und schwieg.
„Hast du denn schon eine Aufnahmeprüfung für die Studienerweiterung gemacht?“, fragte ich schließlich, was mir die diplomatischste Antwort erschien.

„Nein, noch nicht“, strahlte Yvonne. „Ich will erst optimal vorbereitet sein. Jan gibt mir ein paar Privatstunden.“ Ich zog die Augenbrauen hoch und sah meinen Kollegen ungläubig an. Er und Privatstunden? Tja – ich konnte mir vorstellen, wie die ausgehen würden.
„Yvonne hat wirklich großes Tanztalent“, bestätigte Jan. „Und das mit dem Schauspiel… Naja, manche Sachen muss man da eben eine Weile üben.“ „Das mit Sicherheit“, stimmte ich diplomatisch zu, verpasste ihm aber dazu einen du-weißt-genau-dass-man-nicht-alles-lernen-kann-Blick. Zumindest hoffte ich, dass er meinen Gesichtsausdruck richtig verstand.

Obwohl Jan und ich erst in zwanzig Minuten wieder gegenüber im Theater sein mussten, erhob ich mich mit einem höflichen Lächeln. „Ich sollte langsam los. Ich wollte gern noch ein bisschen spazieren gehen, bevor es wieder in das stickige Theater geht. Ist es schlimm, wenn ich schon vorauslaufe?“, wandte ich mich an Jan, der mich verwundert ansah, aber keine Fragen stellte. „Sicher, geh nur“, antwortete er überrascht.
Nach einigen höflichen Floskeln verabschiedete ich mich von den beiden, zahlte meinen Cappuccino und verließ das Café.

Draußen atmete ich erleichtert auf. Sicher, Yvonne war nett zu mir gewesen, und Jan war sowieso mein bester Freund. Aber trotzdem – aus Gründen, die ich mir selbst nicht erklären konnte, war ich froh, dieses Treffen hinter mir zu lassen.
Ich wollte in Ruhe nachdenken.

Wurde ich verrückt? Ich sah eine seltsame Gestalt, die behauptete, sie sei der Tod, und ich konnte eine junge Frau nicht ausstehen, die offensichtlich ein freundlicher und offenherziger Mensch war. Was war nur mit mir los?
Nachdenklich ging ich ein Stück die Straße hinunter. Bis ich im Theater sein musste, hatte ich noch genug Zeit, um ein- oder zweimal um den Block zu laufen. Ich genoss die frische Luft und den kühlen Wind.

Ich bog in die Seitenstraße ab, die am Theater vorbeiführte – und blieb überrascht stehen. Lässig an die Wand gelehnt stand ein junger Mann, den ich in letzter Zeit oft gesehen hatte. Der in meinem Schlafzimmer gewesen war, und vorhin in der Nachmittagsvorstellung.

„Wer bist du?“, fragte ich, als ich den ersten Schreck überwunden hatte. „Spionierst du mir nach?“
Er lächelte gelassen. „Wozu spionieren? Ich kenne dich doch. Ich wollte dich nur sehen – und einen Moment mit dir sprechen, bevor du da hineingehst, um wieder dein altes Leben zu spielen.“ Ich schüttelte den Kopf. „“Mein altes Leben“. Das klingt, als würdest du immer noch glauben, ich wäre die wiedergeborene Elisabeth.“

„Das bist du“, erwiderte er, und klang zum ersten Mal wütend – auf eine subtile und doch furchteinflößende Art und Weise. „Ich erkenne eine Seele, die ich bei mir hatte und die wieder verloren gegangen ist. Vor allem deine, Elisabeth.“
Er sprach meinen Namen mit einem Zischen aus, das mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Ich versuchte mir einzureden, es wäre nur der Wind. Fröstelnd zog ich meinen Mantel enger um den Körper.
„Ich kann mich nicht erinnern“, erwiderte ich in der Absicht, erst einmal auf seine Ideen einzugehen. „Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet. Wer bist du?“

Seine tiefschwarzen Augen schienen direkt in mich hineinzusehen. „Ich dachte, das hätten wir schon letztes Mal geklärt.“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Ich weigere mich, so einen Unsinn zu glauben.“ So viel zum Thema Eingehen, schoss es mir durch den Kopf, aber die Worte waren schon ausgesprochen und waren außerdem die Wahrheit.
„Der Tod ist keine Person, und schon gar nicht du. Das ist lächerlich. Du kannst von mir nicht erwarten, dass ich so etwas glaube, nur weil–“ Ich stockte, er grinste. Es war ein gefährliches Grinsen, und ich wich seinem Blick unbehaglich aus. „Nur weil ich bei dem Besuch in deinem Schlafzimmer einfach im Nichts verschwunden bin?“

Erschrocken wich ich zurück, als eine Sekunde später kein hübscher, junger Mann mehr vor mir stand, sondern eine Art – Monster. Ein flatternder, zerrissener schwarzer Umhang, etwas das aussah wie Klauen… „Gefällt dir dieses Erscheinungsbild vielleicht besser?“, hörte ich die samtweiche Stimme. „Oder dieses?“ Wieder änderte sich die Erscheinung – eine bucklige alte Frau mit rotglühenden Augen. „Oder dieses? Oder dieses?“ Weitere Veränderungen. Ein gestaltloser Umhang mit Sense, ein Nebelfeld in der Form einer attraktiven Frau, eine riesige Spinne, ein schwarzes Tor ins bodenlose Nichts. Ich wich immer weiter zurück und konnte doch nicht vom Fleck.

Schließlich stand er wieder in seiner ursprünglichen Gestalt vor mir. Seine schwarzen Augen blitzten vor Zorn. „Du wirst mir glauben, Elisabeth“, prophezeite er düster, die samtene Stimme kalt wie Eis. „Du wirst mir glauben.“

Und dann war der Bann gebrochen und ich floh ins Theater.

Die Stalker-Theorie konnte ich damit wohl ausschließen.

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Sisi Silberträne » 04.02.2012, 17:56:46

Tolles Kapitel! Soso, die wiedergeborene Elisabeth also. Na jetzt wirds aber interessant!

Bin gespannt, ob die Abneigung gegen Yvonne ein Zutagetreten von Charakterzügen dieses früheren Lebens sein könnte.

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Gaefa » 04.02.2012, 21:46:40

Ui das ist aber ziemlich interessant! Ich bin sehr gespannt wie es da weitergeht und ob der Tod versucht sich die verlorene Seele von Elisabeth zurück zu holen!
Allerdings stellt sich mir so ein bisschen die Frage, warum er "jetzt erst" auftaucht...
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 05.02.2012, 16:50:37

Ui, klasse, es geht weiter! Wirklich sehr interessant. Ich frage mich nur, warum niemand das Gespräch vor dem Theater mitbekommen hat?
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 05.02.2012, 18:17:27

Vielen Dank für eure lieben Kommis :) Als kleines Dankeschön gibts gleich eine extra-lange Fortsetzung. ;) Ich hoffe, dass sich darin auch einige Fragen beantworten^^

@Kitti: Es hat niemand gesehen, weil es eine Seitenstraße neben dem Theater war... Kam das nicht richtig raus? :oops:






An diesem Abend war ich mit meinen Gedanken völlig neben der Spur. In der Vorstellung spulte ich meinen Text automatisch ab, und obwohl ich mir alle Mühe gab, trotzdem in meiner Rolle authentisch zu wirken, sahen Jan und meine anderen Kollegen mich hinter der Bühne mehr als einmal stirnrunzelnd an, weil ich abwesend wirkte. Noch nie in den letzten zwei Jahren hatte ich eine Show als so kräftezehrend empfunden.

Als wir nach der Show zu meinem Auto gingen, sagte Jan nichts, aber ich fühlte seinen prüfenden Blick auf mir ruhen. Unbehaglich wich ich ihm aus und die erste Hälfte der Heimfahrt verging schweigend.
„Deine Yvonne scheint nett zu sein“, sagte ich schließlich; erleichtert, ein unverfängliches Thema gefunden zu haben. „Wird das was Ernstes mit euch?“

Jan runzelte die Stirn, ging dann aber zum Glück auf das Thema ein. „Ich denke schon. Ist natürlich schwer zu sagen, nach den ersten zwei Tagen. Aber wir verstehen uns wirklich gut, sie ist etwas Besonderes. Sicher, sie kann etwas zickig wirken mit ihrem Style, aber im Grunde ist sie ein guter Mensch. Ich glaube, dass sie hinter ihrem vielen Make-up eine große Unsicherheit verbirgt, und wenn man sie etwas aus ihrer Schale herausholt, ist sie sehr liebenswert.“

Ich nickte; das konnte durchaus sein. Ich wollte kein Urteil über sie sprechen, nur weil ich in ihrer Nähe ein ungutes Gefühl hatte. Yvonne konnte nichts für meine Zerstreutheit in den letzten Tagen.

„Aber glaubst du wirklich, dass sie eine gute Schauspielerin werden kann?“, wandte ich ein. „Du weißt doch so gut wie ich, dass man Ausstrahlung nur zu einem sehr geringen Anteil trainieren kann.“ Jan zuckte seufzend mit den Schultern. „Das stimmt wohl. Aber es gibt viele Leute – zu denen gehörst du übrigens auch –, denen man im Alltag ihre Ausstrahlung gar nicht so sehr anmerkt. Erst vor Publikum tritt sie richtig zum Vorschein, und dann ist es einfach umwerfend. Du kannst Menschen auf der Bühne verzaubern“, fuhr er mit einem angedeuteten Lächeln fort, „aber, nichts für ungut – im privaten Leben bist du von deiner Ausstrahlung her ziemlich durchschnittlich. Es sei denn, du legst es darauf an, bemerkt zu werden. Das funktioniert bei dir ein bisschen wie mit einem An-Aus-Schalter.“ Er lächelte verlegen. „Wenn ich ehrlich bin, ich hoffe, dass das bei Yvonne so ähnlich ist.“

Ich schwieg einen Moment; unsicher, was ich zu dieser Erklärung sagen sollte. Zwar wusste ich, dass ich meine eigene Ausstrahlung durch Körperhaltung und eine gewisse Konzentration um ein Vielfaches verstärken konnte. Aber dass ich privat ganz durchschnittlich war, kratzte mein Selbstbewusstsein zugegebenermaßen ziemlich an.

„Du kannst Yvonne ja testen“, erwiderte ich schließlich. „Stell sie auf eine Bühne und schau, ob sich dadurch was ändert.“ Nach einer kurzen Pause fügte ich kläglich hinzu: „Aber bitte sag mir, dass ich im Alltag nicht so bin wie sie!“ Ich sah Jans erschrockene Miene und fuhr fort: „Ich meine, sie ist nett und alles, aber spannend erzählen kann sie wirklich nicht.“
Jan lachte. „Da hast du leider Recht. Und nein, so bist du nicht. Was du erzählst, ist immer sehr interessant.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, grinste ich und hielt an, um Jan aussteigen zu lassen.

„Bis übermorgen?“, fragte ich. Am nächsten Tag hatte ich spielfrei.

Er hob überrascht die Augenbrauen. „Kommst du morgen nicht zu Dianas Geburtstagsparty?“, fragte er verwundert. „Doch!“, erwiderte ich schnell. Die Feier meiner Zweitbesetzung hatte ich völlig vergessen. „Hab grade nicht drangedacht. Also, bis morgen Abend“, lächelte ich. Jan hob die Hand zum Gruß und schloss die Autotür; ich fuhr weiter zu meiner Wohnung.
Dort angekommen schloss ich erleichtert die Tür hinter mir. In letzter Zeit war ich immer froh, nach der Vorstellung meine Ruhe zu haben – vor allem wegen meiner, ähm… ungewöhnlichen Erlebnisse in den letzten zwei Tagen. Ich hoffte inständig, dass er nicht schon wieder in meiner Wohnung stand; ich musste in Ruhe nachdenken.

In der Küche setzte ich heißes Wasser für eine Kanne Tee auf und suchte im Küchenschrank nach meiner Lieblingstasse.
Kaum zu glauben, dass ich dem Tod begegnet sein sollte. Und der wirklich so aussah wie in dem Musical – so aussehen konnte, korrigierte ich mich mit einem Schaudern, als ich an heute Nachmittag dachte. Viele seiner Gestalten waren für mich kein schöner Anblick gewesen.

Das Wasser begann zu sieden und ich hängte zwei Beutel meines Lieblingstees (Kirsch-Erdbeere) in eine Kanne.
Ich sollte also eine wiedergeborene Version der Kaiserin Elisabeth sein… Ich dachte an die vielen Biographien, die ich in Vorbereitung auf meine Rolle gelesen hatte. Trotz vieler Spekulationen hatte letztendlich niemand sagen können, wie Elisabeth wirklich gewesen war. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. Ich war lange nicht so geheimnisvoll. Die meisten Menschen wussten sofort, woran sie bei mir waren. Auch ich behielt Privates zwar gern für mich; meine Gefühle verstellte ich jedoch nur auf der Bühne und nicht im wahren Leben.

Das nun kochende Wasser riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaltete den Wasserkocher ab und füllte das heiße Wasser in die Teekanne um. Gedankenverloren zupfte ich an den Teebeuteln herum, sodass sich das Wasser schnell rot färbte und der fruchtige Geruch, den ich so liebte, die Küche erfüllte.

Dennoch… Einige Gemeinsamkeiten hatte ich schon bemerkt zwischen mir und Elisabeth. Der gleiche Name – okay, das war ein witziger Zufall. Gesetzt den Fall, es gäbe Wiedergeburten, trügen die Leute doch bestimmt nicht immer den gleichen Namen wie in ihrem letzten Leben. Sonst hießen vermutlich alle „Kevins“ und „Ambers“ dieser Welt stattdessen „Fitzgerald“ oder „Clothilde“. Ich musste grinsen und schenkte mir eine erste Tasse Tee ein.

Aber wie Kaiserin Elisabeth war auch ich sehr freiheitsliebend. Ich erinnerte mich noch gut, wie sehr ich unter der strengen Privatschule, die ich besuchen musste, gelitten hatte. Wie Elisabeth war auch ich schon immer gern geritten; die Stunden auf dem Pferderücken waren die freiesten in meiner Kindheit und Jugend. Ich schüttelte traurig den Kopf bei den Gedanken, wie lange ich schon nicht mehr im Sattel gesessen hatte. Die Musicalausbildung und die Arbeit auf der Bühne hatten zu viel von meiner Zeit geraubt. Nicht, dass ich es bereute – aber in den letzten Jahren hatte ich einfach andere Prioritäten gehabt.

Ich lächelte versonnen. Träumen und Gedichte schreiben, oder reiten mit dem Wind… Tatsächlich beschrieben diese Zeilen gut, was ich am liebsten tat. Zwar schrieb ich neben Gedichten auch Kurzgeschichten und Zeitungsartikel – auch wenn diese nicht veröffentlicht wurden –, aber das Hobby des Schreibens hatte ich mir bewahrt.
Ich trank einen ersten Schluck Tee und verzog das Gesicht – er war eindeutig noch zu heiß. Mit einem Stirnrunzeln versuchte ich mich an weitere Details aus Elisabeths Leben zu erinnern.

Aber so sehr ich mich bemühte – ich kam auf keine neuen Ideen mehr. Freiheitsliebe, eine gewisse Sturheit, Reiten, Gedichte, träumen, Suche nach einer eigenen Identität… Ich hatte ihre Rolle schon so lange gespielt, dass ich mich kaum erinnern konnte, welche dieser Charaktereigenschaften wirklich meine waren und welche ich von meiner Rolle übernommen hatte. Und gab es noch weitere Gemeinsamkeiten?

„Du hast ihre Augen“, ertönte eine leise Stimme hinter mir und ich schnellte herum, sodass ich den heißen Tee über meine Hand verschüttete. Mit einem leisen Fluch stellte ich die Tasse ab und griff nach einem Küchentuch.
„Was willst du hier?“, fragte ich. „Hat dir die Gruselvorstellung heute hinter dem Theater noch nicht gereicht? Willst du mich hier noch mehr erschrecken? Was soll das?“

Angesichts meiner bösen Miene hob er amüsiert eine Augenbraue. „Sag bloß, das war so schlimm. In deinem früheren Leben hast du ganz andere Dinge aushalten müssen, Elisabeth.“ „Nennst du mich so, weil ich so hieß, oder weil ich jetzt so heiße?“, sprudelte es aus mir heraus. „Wenn du meinen jetzigen Namen meinst, wäre mir Lia nämlich lieber. Elisabeth klingt so lang und umständlich.“

Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Interessante Frage. Ein bisschen von beidem, glaube ich. Wenn du möchtest, kann ich mich natürlich umgewöhnen, aber ich muss sagen, diese modernen, kurzen Namen gefallen mir nicht sonderlich.“

Ich verdrehte die Augen. „Was soll ich da sagen? Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dich ansprechen soll. ‚Guten Abend, Herr Tod, wie lief denn das Geschäft heute?‘ Das klingt bescheuert.“ Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf.
Zu meiner Überraschung musste er grinsen. „‘Herr Tod‘ klingt doch sehr vornehm. Aber wie wäre es, wenn du dir einen Namen für mich ausdenkst, wenn du unbedingt einen willst? Dein ganzes letztes Leben hast du es geschafft, mich mit gar keinem Namen anzureden.“

Ich runzelte die Stirn. „Im Musical nennt Elisabeth dich einmal ‚schwarzer Prinz‘…“
Er lächelte. „Das klingt sogar gar nicht schlecht; wenn du willst, nenn mich so. Das schmeichelt meinem Ego; auch wenn ich nicht von aristokratischer Abstammung bin.“ Bei den letzten Worten schlich sich leise Ironie in seine Stimme. „Leider hast du das in Wirklichkeit nicht zu mir gesagt. Ein wenig künstlerische Freiheit müssen die Autoren ja haben… Übrigens erscheine ich dir jetzt auch nur in dieser Gestalt, weil das Musical mich so aufgegriffen hat. Früher sah ich anders für dich aus.“

„Wie denn?“, fragte ich neugierig. Seine neue, plötzliche Offenheit überraschte mich zwar, gefiel mir aber deutlich besser als die mysteriösen Andeutungen der letzten Tage.
Aber anscheinend hatte ich zu viel gefragt – er schüttelte nachsichtig den Kopf. „Vielleicht zeige ich es dir eines Tages… Wenn du dich wieder erinnern kannst. Aber für heute sollte ich dich allein lassen. Wir werden uns wiedersehen, Elisabeth – Lia“, korrigierte er sich mit einem kleinen Lächeln.

„Warte!“, rief ich. „Eine Frage habe ich noch.“
Er blieb stehen und sah mich fragend an.
„Warum bist du erst jetzt erschienen?“, fragte ich. „Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Warum hast du mich nicht früher gefunden?“

Er zögerte. Ich sah ihm an, dass er nachdachte; konnte aber nicht sagen, ob er überlegte, wie viel er mir sagte, oder ob er gar nicht antworten würde. Vergeblich versuchte ich, die Antwort in seinem Gesicht zu lesen, und wartete gespannt.

„Ich hatte keinen Anhaltspunkt“, gab er schließlich zu. „Du hättest in jedem Land der Welt wiedergeboren werden können; als Junge oder Mädchen. Es dauert eine Weile, alle Kinder deines Jahrgangs abzusuchen. Ich konnte erst sicher sein, als ich dir in die Augen sah – denn darin erkenne ich deine Seele.“
Er schwieg abrupt, als hätte er zu viel gesagt.
„Gute Nacht. Wir werden uns bald wieder sehen.“

Und bevor ich noch etwas erwidern konnte, war er ein weiteres Mal mit den Schatten der Wände verschmolzen.
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 05.02.2012, 22:40:10

Oh, doch, das kam raus, dann hatte ich den Satz mit der Seitenstraße wohl aus Versehen überlesen. Schön, dass du uns so schnell eine Fortsetzung präsentierst. Schau vielleicht noch mal drüber, es haben sich ein paar kleine Fehlerchen eingeschlichen (das und dass, Privates kleingeschrieben...), aber nichts Gravierendes. Es bleibt auf jeden Fall spannend! Bitte bald weiter!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Gaefa » 06.02.2012, 11:24:15

Ui weiter gehts! Schön zu wissen, warum er erst jetzt aufgetaucht ist *g*
Das Gespräch war ja schonmal ziemlich interessant. Mal schauen was ihr freier Tag und die Geburtstagparty bringen. Vielleicht einen Tanz mit dem Tod? *g* Mach schnell weiter!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 09.02.2012, 16:30:45

So, nun eine Fortsetzung :) Danke für eure Kommis.
@Kitti: Ich hab nochmal drübergeschaut, aber kanns hier nicht mehr ausbessern... Habs jetzt wenigstens in meinem Skript geändert, danke für den Hinweis auf jeden Fall :)





Am nächsten Morgen beschloss ich, meinen freien Tag ruhig angehen zu lassen – auf der Party konnte es, so wie ich Diana kannte, durchaus spät werden. Also stand ich erst am späten Vormittag auf und gönnte mir ein ausgiebiges Frühstück.
Gerade hatte ich mein Frühstücksgeschirr fertig abgespült, als das Telefon klingelte. „Hi, Süße“, erklang eine Stimme und ich brauchte einige Sekunden, um sie einzuordnen.

„Tim!“ Ich lächelte. „Guten Morgen. Hast du schon was rausgefunden?“
„Allerdings“, bestätigte er. „Meine Tante hat erzählt, dass in deiner Stadt Rebecca spielen soll; das Casting ist im Sommer. Irgendwann Anfang Dezember soll Premiere sein. Dein Elisabeth läuft, wie es aussieht, sowieso nur noch bis dahin.“
„Ich wusste gar nicht, dass Elisabeth abgelöst werden soll“, wunderte ich mich. „Und hattest du nicht gesagt, Rebecca geht nach Berlin?“
„Ursprünglich ja, aber da gab es irgendwelche Probleme mit dem Theatermanagement; sie verlängern stattdessen die aktuelle Produktion; ich hab vergessen, was es genau ist. Dass sie Elisabeth ablösen, werden sie euch bestimmt bald sagen“, vermutete Tim. „Du hast wahrscheinlich gute Chancen; meine Tante hat schon gemeint, dass ein paar Leute aus eurer jetzigen Gruppe vom Theater wohl zum Casting eingeladen werden sollen. Vielleicht wartest du so lange noch mit deiner Bewerbung.“
Ich nickte nachdenklich und registrierte mit einer Sekunde Verspätung, dass Tim das gar nicht sehen konnte. „Ja, ich werde mich sowieso nicht bewerben, bevor alles offiziell ist. Aber ich kann mir schon mal ein Lied fürs Vorsingen überlegen und zu üben anfangen.“

„Das ist eine gute Idee“, stimmte Tim zu. „Noch etwas hat meine Tante durchsickern lassen: Sie werden wahrscheinlich fürs Casting Songs aus Rebecca verlangen; zwecks der Vergleichsmöglichkeiten.“ - „Danke!“ Das war mein voller Ernst. Ohne diese Information hätte ich mit Sicherheit etwas anderes eingeübt – je weniger vergleichbar ich war, umso größer meine Chancen. Aber nun hatte ich einen Vorsprung und konnte mich darauf vorbereiten, mit vielen anderen vergleichbar zu sein.

„Das ist noch nicht alles“, fuhr Tim fort. „Ich habe mich auch sonst in der Umgebung etwas schlau gemacht. In der Nähe sind bald Castings für Wicked und Sunset Boulevard. Wenn dich das auch interessiert, maile ich dir die näheren Infos, ich hab‘s mir aufgeschrieben, aber weiß grade nicht alles auswendig.“
„Das wäre nett“, antwortete ich dankbar. „Rebecca klingt zwar super, aber es ist ja immer sicherer, sich bei mehreren Sachen zu bewerben. Und Wicked hat mich auch schon lange gereizt.“ - „Okay, ich schreib dir ‘ne Mail“, bot er an. Ich hörte im Hintergrund eine Frauenstimme und Tim antwortete leise etwas. „Na gut, ich muss dann Schluss machen. Mach‘s gut, ja? Wir hören voneinander.“

Noch bevor ich mich verabschieden konnte, hatte er aufgelegt. Ich bemerkte mit einem Lächeln, dass er mich zum Abschied nicht wie üblich „Süße“ genannt hatte. Diese Frau musste wohl was Ernstes sein.
Nachdenklich ging ich unter die Dusche. Dass so viele meiner Freunde plötzlich eine Beziehung führten… meine Gedanken wanderten zu Jan und Yvonne. Ob das wohl klappen konnte? Objektiv betrachtet, fand ich die beiden sehr unterschiedlich und ich war skeptisch, ob die beiden wohl für eine längere Beziehung genügend Gemeinsamkeiten hatten.

Nach der Dusche blätterte ich das Notenmaterial durch, das ich von Rebecca besaß. Mich interessierten auch die anderen Möglichkeiten; aber auf Rebecca wollte ich meinen Fokus legen – wenn irgendwie möglich, wollte ich nicht schon wieder umziehen. Die häufigen Umzüge und der damit verbundene Stress war das Einzige, das mich am Leben als Musicaldarstellerin störte.
Abgesehen davon konnte ich theoretisch auch bei den anderen Castings ein Stück aus Rebecca singen.

Ich runzelte die Stirn, als ich die Noten durchging. Als erstes sollte ich mir überlegen, welche Rolle ich beabsichtigte. Als Elisabeth hatte ich sowohl kindliche Szenen, wie ich sie in der Rolle der „Ich“ nützen konnte, als auch eine erhabene, ernste Würde, die auch zu Mrs. Danvers passte – für deren Rolle war ich aber vielleicht noch zu jung. Oder sollte ich eine ganz andere Art von Rolle wählen und mich an Beatrice versuchen?

Nach Jahren in einer Hauptrolle schien mir aber auch eine Ensemblerolle durchaus interessant und vor allem erholsam.
Ich seufzte, schob alles beiseite und nahm mir vor, Jan heute Abend um Rat zu fragen, wenn ich ihn eine Minute allein erwischte.

Im gleichen Moment zeigte mein Handy eine SMS an: Jan würde am Abend Yvonne mitbringen. Nun gut. Falls ich ihn eine Minute allein erwischte, korrigierte ich mich seufzend. Auch wenn ich meinem Kollegen sein Glück von ganzem Herzen gönnte, vermisste ich doch die Nähe zu ihm als Freund. Nicht dass ich ihn nicht mehr sehen würde, aber trotzdem…

Ich schob die Gedanken entschlossen beiseite und begann, mich für den Abend hübsch zu machen.
Zuletzt geändert von Christine am 10.02.2012, 11:51:56, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Sisi Silberträne » 09.02.2012, 18:17:47

Schöner Teil - und ich merk gerade, ich hab ja zum vorigen gar nichts geschrieben. Der hat mir besonders gefallen. Die Unterhaltung zwischen Elisabeth (ich find den Namen fast zu schön, um ihn abzukürzen) und dem schwarzen Prinzen finde ich sehr gelungen, ich mags, wie du ihn darstellst.

Bitte weiter :)

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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Kitti » 09.02.2012, 19:53:26

Schön, dass es wieder eine Fortsetzung gibt. Mir ist nur ein kleiner Widerspruch aufgefallen: Am Anfang nennt Tim Elisabeth ja "Süße", aber später schreibst du, dass er sie nicht so genannt hatte. Ist das Absicht? Ansonsten bin ich sehr gespannt, für welche Castings sie sich entscheiden wird. Bitte bald weiter!
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Gaefa » 09.02.2012, 20:12:07

Wieder ein schöner Teil!
Ui gleich so viele Musicals, die neu in die Nähe kommen, da bin ich ja mal gespannt was das wird und wann das Ende von Elisabeth bekannt gegeben wird.
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Re: Zwischen Traum und Wirklichkeit

Beitragvon Christine » 10.02.2012, 11:50:07

Danke für eure Kommis :) Der nächste Teil ist schon in Arbeit, kommt wahrscheinlich Sonntag.

@Sisi: Danke für den Hinweis zum Bearbeiten... Jetzt hab ich den Button auch, vorher war der i-wie nicht da *wundert* Aber werds bald ausbessern^^

@Kitti: Dass er sie nicht so nennt, war zum Abschied gemeint ;) Ich schreib da vll noch nen Halbsatz rein, damit das deutlicher wird.


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