Mir wäre nur "Lauf, Munchkin, lauf", eingefallen, aber frag mich net wieso
Uuund weiter gehts...
Kapitel 13
Die alten Seiten der Grimmerie raschelten, als Glinda vorsichtig in dem Buch blätterte. Mittlerweile konnte sie eine Anzahl der Zaubersprüche lesen, sie hütete sich jedoch davor auch nur einen zu benutzen, außer jenem, der Boq seinen Körper aus Fleisch und Blut wieder geben sollte. Es war nicht das erste Mal, dass sie dachte ihn endlich gefunden zu haben, und sich irrte. Sechs Jahre lang hatte sie inzwischen das Buch studiert, ihre Hoffnung erfolgreich zu sein, schwand mit jedem Tag, doch noch wollte sie nicht aufgeben. Das Geräusch der Tür hinter sich ließ sie aufsehen. Boqs mechanische Schritte näherten sich.
„Da bist du ja…“, sagte sie leise. „Bereit es wieder zu versuchen?“
Er nickte leicht. „Du weißt, dass ich Enttäuschung genauso wenig fühlen kann wie alles andere. Ich erinnere mich nur daran, mehr nicht.“
„Ich habe es nicht vergessen.“ Vielleicht war es die stoische Ruhe, mit der er alle bisherigen Fehlschläge hingenommen hatte, die sie so belastete. Sie wartete bis er sich auf den Stuhl ihr gegenüber gesetzt hatte. „Wenn ich es richtig verstanden habe, soll dieser Spruch etwas für immer verloren Geglaubtes erneut erstehen lassen. Vielleicht klappt es auch mit deinem Körper.“
„Versuchen wir es, dann werden wir es wissen. Ich glaube an dich, Glinda, denk daran.“ Boq berührte ihre warme Hand mit seiner kühlen aus Metall.
Ein unsicheres Lächeln fand den Weg auf ihr Gesicht, sie atmete tief ein und beugte sich über das Buch. Ihre Stimme war ein langsamer Singsang, als sie begann die Zeilen zu lesen.
Illie ut deamen alekh deamen. Marah sel ennis ut. Illie ut deamen…
Glinda versank in Trance, während sie den Spruch wieder und wieder aufsagte. Dieses Mal musste es einfach der richtige sein! Boq mochten die Enttäuschungen unberührt lassen, doch sie nicht. Ihr Gesang wurde höher, bis sie das letzte Wort fast heraus schrie. Dann wich die Kraft, die sich ihrer bemächtigt hatte, und sie öffnete die Augen. Sie fühlte sich so erschöpft, dass sie auf der Stelle einschlafen konnte.
„Du hast es geschafft!“ rief da eine weiche männliche Stimme. Es war Boqs, doch der gewohnte metallische Klang fehlte. Erstaunt sah sie ihn an. Vor ihr stand kein Blechmann mehr, sondern Mann aus Fleisch und Blut. Strähnen des unordentlichen braunen Haars fielen ihm ins Gesicht und seine grauen Augen strahlten vor Glück, sie waren nicht länger ohne Gefühl.
Ungläubig streckte Glinda eine Hand aus, um Boqs Wange zu berühren. Seine Haut fühlte sich weich an, warm und lebendig. Im nächsten Moment hob er sie in die Höhe, dass sie ein überraschtes Quietschen von sich gab, und wirbelte mit ihr im Kreis durch den Raum.
„Du hast es tatsächlich geschafft!“ wiederholte er. „Ich wusste, dass du es kannst, Glinda, ich wusste es!“ Er nahm sie in die Arme und küsste sie innig. Über die Jahre hatte er seine Liebe für sie niemals vergessen. Die Gillikinesin war noch unfähig etwas zu erwidern, sie dachte jäh an ihre gute alte Freundin Elphaba zurück, sie wäre jetzt bestimmt stolz auf sie.
Elphaba tastete beschämt nach ihrer Wange, als sie den Blick der blonden Frau auf der Verletzung ruhen spürte. Der Bluterguss schmerzte kaum noch und sie hatte sein Vorhandensein einfach vergessen. Glinda griff nach ihrer Hand, drückte sie sanft. In den Augen der Munchkin nahm sie für einen Moment einen Ausdruck wahr, den sie bei ihr niemals gesehen hatte, und der sie zutiefst erschreckte. Sie begriff plötzlich, dass von der früheren Stärke Elphabas nicht mehr viel übrig war. Er immer für die Verletzung verantwortlich war, hatte mehr als das getan, hatte sie gebrochen.
„Du musst dich nicht schämen“, murmelte Glinda. „Sag, wer hat dir das angetan? Warum hast du es zugelassen?“ Ihr Blick streifte erneut den Bluterguss.
Zunächst antwortete die grünhäutige Frau nicht, aber dann begann sie zu erzählen, was unmittelbar nach ihrem vermeintlichen Tod geschehen war, und wie Fiyero ihr zur Flucht aus Oz verholfen hatte. Die Gillikinesin versuchte sie nicht zu sehr dazu zu drängen weiter zu sprechen, sie merkte, dass es Elphaba sichtlich schwer fiel darüber zu reden, was sie in dieser anderen Welt erlebt hatte.
„Ich habe versucht irgendwie weiter zu machen. Die Menschen sahen mich beinahe noch seltsamer an, als sie es hier schon tun, und niemand wollte mir Arbeit geben. Was ich verdienen konnte, reichte kaum für mich zum Leben, geschweige denn dafür, ein Kind zu versorgen. Da begegnete ich Hank, dem ein Wanderzirkus gehörte, und er bot mir an, zu seiner Truppe zu stoßen. Es klang nicht schlecht, immerhin hatte ich nun einen Ort, an den ich gehörte. Mich den Leuten vorzuführen war anfangs nicht einfach, aber ich gewöhnte mich mit der Zeit daran, so wie ich auch zu merken begann, wie Hank wirklich war.
Er war gewalttätig und gemein, für ihn war ich sein Eigentum, weil er mich völlig mittellos aufgegabelt hatte, wofür ich ihm die Füße zu küssen hatte. Nachdem er mich ein paar Mal übel verprügelt hatte, versuchte ich es zu vermeiden, mich mit ihm anzulegen, um meines Kindes willen. Aus dem Weg gehen konnte ich ihm nicht. Eines Nachts kam er zu mir in den Wohnwagen, oh seine Nähe war widerlich, ekelerregend, doch welche Wahl hatte ich? Das war nur das erste Mal von vielen. Natürlich habe ich mich mit dem Gedanken getragen zu fliehen, ich wusste nur nicht wohin, und Hank hat darauf aufgepasst, dass ich mir kein Geld für eine Flucht ansparen kann.
Als mein Sohn dann zur Welt kam, ließ ich ihn bei einem kinderlosen Ehepaar, wo ich hoffte, er würde es gut haben. Ich wollte nicht, dass er im Wanderzirkus aufwächst, in Hanks Nähe, alles miterlebt. Nein, Liir hat etwas Besseres verdient. Ich habe ihn so vermisst, auch wenn ich wusste, dass er in Sicherheit ist. Dann wurde ich wieder schwanger, aber Hank war es egal, er hat sich um sein Kind nicht gekümmert. Ich hatte eine Fehlgeburt, und im Laufe der Jahre noch zwei weitere. Das eine oder andere Mal habe ich mit dem Gedanken gespielt, es ein für alle Mal zu beenden, doch ich konnte es nicht, vielleicht weil ich insgeheim darauf gehofft habe, dass Liir… Alex eines Tages vor mir steht. So ist es auch tatsächlich geschehen, er wollte mich unbedingt nach Oz zurück begleiten, und den Rest weißt du ja.“
Glinda sah ihre Freundin schockiert an, sie verstand nicht, dass diese so gleichgültig über all jene Dinge sprechen konnte. Sie war dankbar dafür. Behutsam schloss sie Elphaba für einen Moment in die Arme, ehe sie ihren Blick suchte. Sie wusste nicht, was sie ihr nun sagen konnte. Diese Entscheidung wurde ihr jäh abgenommen, als die Zimmertür aufgerissen wurde und Boq den Raum betrat. Er war sichtlich aufgeregt, sah seine Frau an, ohne Elphaba überhaupt zu beachten.
„Ich kann Nessie nirgendwo finden! Als ich sie ins Bett bringen wollte, sah ich, dass sie nicht in ihrem Zimmer ist“, erklärte er besorgt. Erst als beide Frauen sofort aufsprangen, wandte er sich Elphaba zu, bedachte sie mit einem kühlen Blick, der so viel hieß, dass er auf ihre Hilfe verzichtete. Glinda jedoch zog, sich nicht im Boqs Reaktion kümmernd, ihre Freundin mit sich aus dem Raum.