Fortsetzung
Die zwei Gedichte darin, sind von mir selbst erfunden. Sie sind nicht gerade die besten, aber etwas besseres fiel mir nicht ein.^^
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4.
Die nächsten Tage vergingen sehr langsam, sie zogen sich geradezu daher, wie eine Schnecke. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Franz-Joseph und nicht einmal der Tod erschien mehr, um mir Gesellschaft zu leisten. Nur noch wenige Tage, dann würde er verheiratet sein, mit meiner Schwester.
Ich verkroch mich wieder in mein Bett und zog die Decke über mich, ich wollte gar nicht mehr aufstehen. Meine Mutter beklagte sich schon andauernd, wie sehr ich in diesem paar tagen zusammengefallen war, was wohl auch daran lag, dass ich kaum noch essen wollte.
All meine Versuche, doch noch mit ihm glücklich zu werden, waren misslungen und ich wusste nicht, was ich nun noch tun sollte, ich würde ihn ja nicht einmal mehr sehen vor der Hochzeit und vor allem fragte ich mich, wie ich die Hochzeit überstehen soll. In unserer ganzen Familie wurde von nichts anderem mehr gesprochen, alle waren sie schon ganz aufgeregt und voller Vorfreude, es wurde geplant, gelacht und fast jeden Tag kam irgendjemand vorbei, um Helene zu beglückwünschen. Man könnte meinen, es hätte noch nie zuvor eine Hochzeit stattgefunden, unsere gesamte Verwandtschaft führte sich auf wie Kinder, wenn Weihnachten vor der Tür steht und sie sich auf die Geschenke freuen.
Naja, wenn Einsamkeit und Traurigkeit auch Geschenke sind, werde ich dieses Jahr prächtig beschenkt, dachte ich mir und drehte mich mit einem bitteren Lächeln auf die andere Seite.
„Lass mich in Ruhe,“ rief ich der Tür entgegen, an der es gerade geklopft hatte.
Sie ging auf.
Das war wieder mal typisch! Niemand im Haus interessierte sich dafür, ob ich alleine sein will, ich werde einfach nicht ernst genommen!
Mein Vater setzte sich neben mich auf die Bettkante und legte eine Hand auf meine Schulter.
„Sisi, das Frühstück ist fertig.“
„Ich habe keinen Hunger.“
„Aber Kind, du musst doch mal was essen. Was ist denn mit dir los?“
„Oh Vater,“ begann ich, aber meine Tränen schnitten mir die Worte ab, meine Stimme versagte.
Mein Vater schaute mich mitleidig an und schloss mich in seine Arme.
„Ach Sisi,“ flüsterte er und streichelte über meinen Rücken.
„Das Leben ist ungerecht,“ schimpfte ich, worauf er nur antwortete:
„Ich weiß.“
So saßen wir noch eine Weile da, bis unsere Gouvernante kam, um zu sehen, wo wir bleiben.
„Verzeihung, ich wollte nicht stören,“ sagte sie und drehte sich um.
„Nein, nein, sie stören nicht, wir kommen,“ erklärte mein Vater unserer Gouvernante gegenüber und sagte dann zu mir gewand: „Komm jetzt Sisi, bitte tu mir den Gefallen und iss wenigstens eine Kleinigkeit.“
Er zog das Taschentuch unter meinem Kopfkissen hervor und reichte es mir und schließlich folgte ich ihm zum Frühstückstisch.
Es war mir ein wenig peinlich in diesem Moment, da bestimmt alle meine verweinten Augen sahen.
Ich holte mir ein Brötchen und schnitt es lustlos auf und beschmierte es mit Aufstrich. Ich biss ab und kaute wie in Zeitlupe. In diesem Moment kam meine Schwester herein gestürmt.
„Ach entschuldige Mama, aber ich war gerade so tief in mein Buch vertieft, ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es schon Frühstück gibt.“
Meine Mutter lachte kurz auf. „Du entwickelst dich ja zu einer richtigen Leseratte.“
„Ja und nachher werde ich in die Stadt gehen, ich brauche noch so viele Sachen für meine Hochzeit.“
Ich verschluckte mich an dem Tee, von dem ich gerade einen Schluck nahm.
Helene schaute kurz zu mir hinüber und redete aufgeregt weiter und meine Mutter hörte ihr wie in Trance zu, ab und zu gab sie mal ein Lachen oder ein erstauntes Kopfnicken von sich.
Ich rührte immer noch mit dem Löffel in meinem Tee herum, irgendwie fand ich die Kreise, die der Löffel in der trüben Flüssigkeit bildete, beruhigend.
Nach dem Essen verzog ich mich wieder in mein Zimmer. Ich schrieb wieder ein Gedicht, das hatte ich in den letzen Tagen so oft getan.
Du bist mein Stern,
doch ich lebe in einer Welt, in der es nur Tageslicht gibt,
du bist meine Sonne,
doch ich lebe in einer Welt, in der es nur Regen gibt.
Du bist meine Freiheit,
doch ich lebe in einer Welt, in der es nur Unterdrückung gibt.
Du bist meine Hoffnung,
doch ich lebe in einer Welt, in der jede Hoffnung stirbt.
Du bist mein Leben,
doch ich lebe in einer Welt, in der das nicht zählt.
So bitte ich dich,
nimm meine Sterne, nimm mir die Sonne, nimm ein Teil meiner Freiheit, nimm mir die Hoffnung,
doch bitte bitte, mein Leben nicht!
Sisi, was schreibst du da bloß wieder zusammen, dachte ich mir und versteckte das Blatt unter den anderen Büchern, da wo auch all meine anderen Gedichte der letzen Tage lagen.
Es klopfte wieder an der Tür.
„Sisi, möchtest du mit Helene in die Stadt gehen?“ fragte meine Mutter von draußen.
„Nein,“ fuhr ich sie entschieden an. Ich hörte, wie ihre Schritte davon schlurften.
Aber in meinem Zimmer wollte ich auch nicht mehr bleiben.
Ich ging in den Stall, um mein Pferd zu satteln. Unsere Gouvernante rannte mir aufgebracht hinter her.
„Junge Dame, darf ich fragen, was das soll?“
„Das siehst du doch, ich reite aus!“
„Oh nein, das wirst du ganz bestimmt nicht tun, komm sofort wieder ins Haus!“
“Aber, Nein, ich werde nun ausreiten, zu lange bin ich nun schon in meinem Zimmer verschimmelt, ich brauche frische Luft!“
„Dann geh spazieren,“ schlug sie mir vor. „Das reiten ist viel zu gefährlich für dich.
Ich beachtete sie nicht und sattelte das Pferd weiter, als ich fertig war, stieg ich auf.
Unsere Gouvernante hatte schon einen hochroten Kopf vor Wut.
„Komm sofort von dem Pferd herunter, junge Dame. Na warte, dir werde ich noch Benehmen beibringen,“ giftete sie und stellte sich mir in den Weg.
„Lass sie,“ hörte ich in diesem Moment meinen Vater hinter mir sagen.
„Wie du meinst, aber gebt hinterher bloß nicht mir die Schuld, wenn Sisi etwas passiert.“ Vor sich hin meckernd ging sie wieder ins Haus.
Ich bedankte mich bei meinem Vater und ritt los und es war toll! Der Wind blies mir durch die Haare und zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich wieder frei, so frei. Ich erinnerte mich an ein Gedicht, welches ich mal geschrieben hatte, lang bevor das ganze Dilemma um meine Schwester und Franz-Joseph begonnen hatte:
Wie der Wind will ich sein,
frei umherschwebend, an jedem Sommertag.
Wie ein Regentropfen will ich sein,
der in das Meer taucht und neue Welten entdeckt.
Wie ein Vogel will ich sein,
so frei und fliegen wohin ich will.
Wie die Sonne will ich sein,
ich will die Menschen zum strahlen bringen,
wie die Zeit will ich sein,
unvergänglich, schwerelos.
Frei sein will ich,
Ja, ich will leben.
Kein Käfig wird mich gefangen halten,
ich bin frei, so frei..
Ich vermisste diese Zeiten.
In den nächsten Tagen ritt ich oft aus, das waren die wenigen Momente, in denen ich Franz-Joseph, den Tod und alles um mich herum vergessen konnte. Doch kaum war ich als wieder Zuhause in meinem Zimmer, holte mich auch wieder meine derzeitige Situation ein. Dann vergrub ich mich wieder in meinem Bett, schrieb Gedichte oder half meinem Vater bei allem möglichen, um nicht ganz so alleine zu sein.
Dann war es schließlich soweit, der Tag der Hochzeit.
Als mich unsere Gouvernante an diesem Morgen aufgeregt weckte, da ich verschlafen hatte, war mir schlecht. Ich wollte nicht aufstehen. Wieso sollte ich, was wollte ich bei der Hochzeit? Doch sie ließen mir alle keine Ruhe, hektisch schickten sie mich hin und her.
„Jetzt beeil dich, mach dich im Bad fertig,“ befahl mit meine Mutter.
„Sisi, ich richte dir schon mal dein Kleid, zieh es dann bitte gleich an, nachdem du gebadet hast,“ meinte unsere Gouvernante.
Ich schleppte mich ins Bad und lies Wasser in die Wanne. Als es voll genug war setzte ich mich rein. Ich stellte mir vor, es wäre meine Hochzeit, die anstand. Ich wäre der glücklichste Mensch auf Erden. Doch es war nicht so. Ich hielt die Luft an und tauchte im Badewasser unter, bis meine Lungen brannten, dann tauchte ich wieder auf und schnappte panisch nach Luft. Ich lies meinen Kopf hinten gegen die Wanne gleiten und versuchte mich zu entspannen, meinen Gedanken davon zu laufen. Wieso tat Liebe so weh?
„ Um Himmels Willen Sisi, beeil dich,“ rief mir meine Mutter von außen hektisch zu.
„In knapp einer halben Stunde müssen wir los!“
Missmutig stieg ich aus der Wanne und machte mich fertig, danach ging ich in mein Zimmer, um mein Kleid anzuziehen Ich fühlte mich komisch benommen, als würde ich mit einer Fernbedienung gesteuert werden, als wäre es jemand anderes, der für mich läuft und all das tut, was von mir verlangt wurde. Auf einmal hatte ich den Tod vor meinen Augen, er war hinter einem Nebel und lachte so laut er konnte. Er war nicht wirklich im Raum, wahrscheinlich spielte mir meine Fantasie einen Streich. „Die Schleier sind gefallen,“ verspottete er mich und verschwand mit einem grässlich lauten Lachen, nur der Nebel war zurückgeblieben, der meine Augen bedeckte, dass ich kaum etwas sah. Ich wischte mit die Tränen von den Wangen und folgte den aufgeregten Worten meiner Mutter, die mich drängten, nun endlich zu kommen, da Helene sonst ihre eigene Hochzeit verpasst.
Der Gedanke gefiel mir, aber dennoch musste ich tun, was man von mir wollte.
Die Hofkapelle, in welcher die Hochzeit stattfinden sollte, war schon ziemlich voll. Wie sie da alle saßen mit ihren besten Kleidern und diesem freudigen Glitzern voller Erwartung in ihren Augen. Pah! Was war denn an diesem Tag schon freudig? Ich setzte mich neben meine Familie in die erste Reihe und schaute verkrampft meine Hände an, die ich immer weiter verknotete.
Die ganze Zeit über spürte ich Sophies Blick auf mir. Ich schaute zu ihr hinüber und hielt ihrem Blick stand, bis sie wegschaute, aber sobald ich meinen Blick abwendete, merkte ich ihren bereits erneut. Alle hatten sie Angst, dass ich etwas Dummes anstellen könnte, aber was sollte ich denn machen? Mir eine Waffe besorgen und auf Helene zustürmen? Ich konnte nur hilflos dasitzen und zuschauen, wie Helene den Mann heiratete, den ich über alles liebte.
Mein Vater nahm meine Hand während der Trauung und darüber war ich froh. Ich bin mir sicher, ich wäre aufgestanden, wäre zum Altar und hätte Franz-Joseph vor allen Leuten angebettelt, hätte mich seine Hand nicht aufgehalten.
Nach der Trauung stand ein Ball an, aber ich wollte nicht mehr, ich konnte nicht mehr.
Sobald Franz-Joseph und Helene aus der Kapelle geschritten waren stand ich auf und rannte so schnell ich konnte.
„Sisi! Sisi, komm sofort zurück!“ schrie mir meine Mutter wütend hinterher und von allen Seiten hörte ich es tuscheln:
„Schaut mal da, Elisabeth, sie kommt wohl nicht darüber hinweg.“
„Eigentlich kann sie einem ja Leid tun.“
„Red nicht, es war von Anfang an klar, dass sie keine Chance hat.“
„Armes Mädchen.“
Was bildeten die sich eigentlich ein! So öffentlich und ungeniert über mich zu lästern, eine Unverschämtheit. Ich rannte noch schneller.
Kurz bevor ich die Kapelle endlich verlassen hatte, sah ich den Tod, der in der letzen Reihe saß. Er streckte mir die Hand entgegen, aber ich rannte an ihm vorbei.
Ich rannte und rannte und wusste nicht einmal wohin. Das wird ärger geben, wenn ich wieder daheim bin, dachte ich mir, aber dies war mir in diesem Moment egal. Ich wollte nur noch davonlaufen, doch wohin eigentlich? Als mich meine Lungen schmerzten blieb ich stehen und sah mich um. Wo war ich denn? Ich setze mich auf eine Bank, die in der Nähe stand, zog meine Beine ganz eng an den Körper und fing an zu weinen. Es tat so weh!
Nach einer halben Ewigkeit, wie es mir vorkam, stand ich wieder auf. Ich fühlte mich wie betäubt, als würde man mich wieder fernsteuern. Ich merkte nicht einmal mehr die kalte Luft, die mir um die Ohren pfiff. Draußen dämmerte es schon. Wie lange war ich denn nun schon herumgerannt?
Ich zog meine Jacke ein wenig enger und schlang meine Arme um meine Brust, nicht weil es mir kalt war, sondern um den Schmerz ein wenig zu lindern, um meine Brust festzuhalten, damit sie mir nicht auseinander barst.
Nach einer Weile, erreichte ich einen Ort, an dem es unzählige hohe Häuser gab, teilweise reichten sie bis fast in den Himmel.
Ich dachte nicht lange darüber nach und betrat eines der Häuser, eine lange Wendeltreppe führte hinauf. Ich rannte hoch, bis in den letzen Stock, von dort aus kletterte ich über das Fenster auf das Dach. Wie klein die Welt von hier oben aussah!
Die wenigen Menschen, die untern noch verirrt durch die Straßen liefen sahen aus wie Spielzeug, zerbrechlich, vergänglich. Ich stellte mich an den Rand und schaute genauer hinunter und ich fühlte mich frei. Es war ein seltsames Gefühl. Auf einer Seite war da der Schmerz, der mir fast die Luft zuschnürte und auf der andern Seite war dieses unglaubliche Freiheitsgefühl von oben auf alle hinunterzublicken und sich von niemandem etwas sagen zu lassen. Ich könnte springen, springen und fliegen, dachte ich mir. Ich wäre frei wie ein Vogel.
Ich trat noch näher an den Rand und schaute herunter. Unten stand der Tod, er hatte seine Arme weit ausgebreitet.