Danke, Kitti!
Und schon gehts weiter mit der Verhandlung. Inoffiziell könnte man den Teil jetzt als "Aufmarsch der Fetzenschädel" bezeichnen, da kommen nämlich so ziemlich alle Idioten vor...
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Julien trat vor.
„Ihr seid der Vicomte de Chagny, Verlobter der Angeklagten. Ihr habt als solcher ein Zeugnisverweigerungsrecht, das bedeutet, Ihr braucht überhaupt nichts zu den Vorwürfen zu sagen, aber wenn Ihr euch zu einer Aussage entschließt, muss sie der Wahrheit entsprechen.“
Annes Verlobter brauchte nicht lange nachzudenken.
„Dem Zeugnisverweigerungsrecht bin ich mir bewusst, aber ich sage aus.“
Richtig so, dachte Anne erleichtert.
Sag ihnen, was ich über den Kardinal gedacht habe. Sag ihnen, dass ich mich von Anfang an davor gefürchtet habe, mich mit ihm alleine zu unterhalten.
„Und was könnt Ihr zu dem ganzen sagen? Soweit ich informiert bin, seit Ihr einige Stunden vor dem Anklagevorwurf mit Eurer Verlobten in die Kathedrale von Paris gefahren.“
- „Ja, wir hatten eine Vorbesprechung mit Seiner Eminenz betreffend unserer anstehenden Hochzeit. Das ganze ist aber sehr merkwürdig gelaufen. Anne hat sich ziemlich unpassend benommen.“
Na schön, ich bin nicht stillgesessen und einfach weggelaufen, sogar zwei Mal, aber nur weil ich es mit diesem Menschen nicht in einem Raum ausgehalten habe, weil er mich zum einen so gelangweilt und zum anderen so verunsichert hat. SAG ES! SAG DIE WAHRHEIT!
„Unpassend inwiefern?“
- „Na ja, sie hat ständig mit den Haarsträhnen gespielt, die sich aus ihrem Zopf gelöst haben. Ich habe ihr vor der Abfahrt tausend Mal gesagt, sie muss ordentlich und anständig aussehen, aber irgendwie war ihr das vollkommen gleichgültig. Und dann hat sie Seine Eminenz dauernd so merkwürdig angesehen. Ich habe diesen Blick noch nie vorher bei ihr gesehen, das war ungewöhnlich…“
Julien hielt inne.
Merkwürdig?! wunderte sich Anne.
Ängstlich vielleicht. Verunsichert. Gelangweilt. Alles das. Aber nicht merkwürdig und ungewöhnlich. Und meine widerspenstigen Haarsträhnen gehen mir selbst auf die Nerven… wie jetzt… Natürlich halten die mich für schuldig mit den offenen Haaren und diesem Kleid aber ich bin ja nicht freiwillig so wie ich bin hierher gekommen… Und dass er den Gesichtsausdruck, wie ich Richelieu angesehen habe, angeblich noch nie gesehen hat, glaube ich aufs Wort. Wir kennen uns ja noch gar nicht so lange… und er interessiert sich ja gar nicht für mich, für ihn ist das ganze doch nur eine Pflicht…
„Fahrt nur fort, Vicomte. War noch etwas?“
- „Ja. Sie ist auf einmal aufgesprungen und weggelaufen. Zwei Mal sogar. Als ich ihr dann gefolgt bin um zu fragen was das ganze soll, hat sie gemeint, sie könnte sich nicht auf das konzentrieren was besprochen wird, weil sie ständig über den Kardinal nachdenken muss… Sie wollte wissen, ob es auch Ausnahmen betreffend des Gelübdes gibt, dass Kardinäle und andere Kirchenmänner ablegen müssen.“
„Hört, hört.“ bemerkte der Kardinal so laut, dass es auch Anne verstehen konnte.
Einige Leute, die in der Nähe standen, lachten.
Was soll ich gesagt haben?! wunderte sich Anne.
Er lügt! Er ist zur Wahrheit verpflichtet und lügt dem Gericht hier etwas vor… Wieso tut er das?
In der Menschenmenge entstand wieder eine kurze Aufregung, bis D’Arque mit einem Stab mehrmals auf den Boden schlug. „Ruhe, sonst lass ich den Platz räumen!“
„Mir kam die Frage zwar seltsam vor“, bemerkte Julien, als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, „aber ich hatte ihr dann vorgeschlagen, dass sie sich einmal allein mit Seiner Eminenz unterhält… Ich wusste ja nicht, was sie vorhat.“
„Was meint Ihr, Vicomte?“
stellte einer der Männer in Schwarz eine Zwischenfrage.
„Dass sie beabsichtigte, den Kardinal zu verführen…“
Die Aussage zog sich noch eine ganze Weile in dieser Weise hin, aber Anne hörte nur noch halb hin. Alles hatte sich gegen sie verschworen. Wahrscheinlich hatte man Julien zu dieser Aussage angestiftet, um sie in ein noch schlimmeres Licht zu stellen… Sie schaute zu Boden und versuchte, an glücklichere Zeiten zurückzudenken… die Zeit, bevor sie ihm zum ersten Mal begegnet war.
„Vielen Dank, Vicomte, dass Ihr dem Gericht bei der Wahrheitsfindung geholfen habt. Wir haben keine weiteren Fragen. Ihr könnt wieder gehen.“ bemerkte Gaston D’Arque schließlich.
Julien verbeugte sich kurz und ging dann seines Weges, ohne Anne noch einmal anzusehen.
Er interessiert sich nicht mehr für das, was mit mir passiert, war ihr vollkommen klar. Sie glaubte auch nicht daran, dass es überhaupt irgend jemanden gab, der sich für ihr Schicksal interessierte. Dafür, was wirklich passiert war. Sie war bereits vorverurteilt.
Von der Menschenmenge aufgrund der „Aussage“ des Zeugen und dem hinterhältigen Plan, den sich Seine Eminenz für den Verhandlungstag zurechtgelegt hatte, von den drei Männern in Schwarz, von Julien…
Mein Leben ist doch bis vor zwei Wochen so schön gewesen, dachte Anne.
Werde ich irgendwann noch einmal glücklich werden?
„Habt Ihr uns vielleicht irgendetwas zu sagen, Angeklagte de Breuil?“
wandte sich einer der Männer in Schwarz an sie und riss sie aus ihren Gedanken zurück in die Wirklichkeit.
Anne antwortete nicht.
„Ihr habt doch die Aussage Eures Verlobten gerade gehört.“ drängte der Mann in Schwarz weiter. „Ist Euch klar, was das bedeutet?! Muss es denn wirklich so weit kommen, dass aufgrund Eurer Sturheit auch noch Seine Eminenz Kardinal Richelieu darüber aussagen muss, was an diesem Abend vor vierzehn Tagen passiert ist?“
Ich denke nicht, dass ihm das etwas ausmachen wird, … nur, wenn es um die WIRKLICHE Wahrheit gehen würde, wäre die Aussage für ihn wesentlich unangenehmer…-
„Nun gesteht endlich, Angeklagte de Breuil.“ - „Es ist hoffnungslos“, bemerkte der Mann in Schwarz zu einem anderen. „Sie ist stur wie ein Esel.“
„Lasst sie doch weiter schweigen, wenn sie nicht aussagen will“, bemerkte der Kardinal plötzlich und trat ein paar Schritte nach vorne. Anne trat im Gegenteil instinktiv ein paar Schritte zurück.
Kommt bloß nicht näher, dachte sie.
Wagt es nicht!
Besonders weit konnte sie allerdings aufgrund der Wachen nicht zurückgehen.
„Dann muss ebendie Folterung angeordnet werden. Denn der besondere Schutz, unter den ich die Angeklagte gestellt habe, wurde nur bis zum heutigen Verhandlungstag beschränkt. Es können also alle Maßnahmen ergriffen werden, die Ihr für notwendig erachtet, um sie zum Reden zu bringen.“ fuhr Richelieu unbeirrt fort.
Natürlich. Es war vorauszusehen gewesen, dass das passierte. Wenn sie weiter schwieg oder ihre Unschuld beteuern würde, dann würde sie vor aller Augen gequält und gedemütigt werden.
Sie fasste einen verzweifelten Entschluss.
„Das ist nicht nötig“, bemerkte sie leise.
- „Habt Ihr gerade etwas gesagt, Angeklagte de Breuil?“ fragte Richelieu. Nicht einmal die Gerichtsmenschen waren es, die ihr diese Frage stellten. Warum musste es immer er sein?!
Anne merkte, dass sie auf einmal den Tränen nahe war. Nein, sie durfte jetzt nicht weinen. Sie musste stark bleiben. Sie schluckte einmal, dann holte sie tief Luft. Bevor sie der Mut noch ganz verließ, sah sie wieder auf, direkt in die Richtung des Kardinals und sagte langsam klar und deutlich, dass es auch der letzte verstehen konnte:
„Ich gestehe. Ich … gestehe … alles.“