Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Wie gefiel euch eine Vorstellung und was würdet ihr kritisieren?

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Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Beitragvon Elphaba » 14.06.2015, 02:17:51

Fast normal (Next to Normal)
Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015, 20 Uhr (Voraufführung)

So, nun will ich mal meine Eindrücke schildern und versuchen, mich kurz zu fassen, damit das hier überhaupt jemand lesen mag. :) Außerdem möchte ich ja nicht zuviel vorher schon verraten für die, die noch hingehen wollen. ;)

Also ich kannte vorher nur die Broadway-Aufnahme und etliche youtube-Videos der amerikanischen Produktion. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie man das Stück auf so einer kleinen Bühne wie dem Renaissance-Theater mit den verschiedenen Ebenen realisieren könnte. Da das Stück ja nächstes Jahr auch bei uns laufen soll und wir etwa die gleiche Größe haben wie das Renaissance-Theater, war ich natürlich besonders auf den Aufbau des Bühnenbildes gespannt. Und ich muss sagen, es war grandios gelöst. Klar hatte man hier nicht die Möglichkeiten wie bei so einem großen Haus wie in Fürth, aber auch auf der kleinen Bühne klappte es. Es gab 4 Ebenen aus roten Stahlträgern, die natürlich nicht so hoch waren, wie reale Zimmer, aber das war gar nicht nötig. Im Gegenteil, man hatte hier noch ganz andere Möglichkeiten, in der Choreografie die Ebenen zu wechseln.
Das Theater schien für die Verhältnisse einen recht guten Etat zur Verfügung gehabt zu haben, denn es gab zwischen zwei Ebenen noch eine langgezogene LED-Wand auf der sehr effektvoll verschiedene Licht- und Filmeinspielungen liefen. Zusätzlich war die Rückwand der Bühne ein einziges „Leuchtmittel“ das an manchen Stellen „blendend“ zum Einsatz kam. Sehr effektvoll z.B. bei den Elektroschocks.
Die 5-köpfige Band saß unter den „Stufen“ und fügte sich fast unbemerkt ins Bühnenbild ein.
Auch eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Kostümen ließ auf einen guten Etat schließen.
Torsten Fischer ist ein bekannter (und berüchtigter) Regisseur, der normalerweise auch bekommt, was er will. Er liefert dafür auch geradezu durchgehend sehr erfolgreiche Stücke. Er hat den Ruf seine Schauspieler und die Theaterangestellten zu quälen… aber der Erfolg gibt ihm offenbar Recht.
Und das Menschliche mal beiseite gelassen: Auch mich hat die Inszenierung hier überzeugt! Bis auf ein paar Einzelheiten, bei denen ich mir nicht ganz so sicher bin, ob das klug war. Z.B. dass bei „I am the one – Reprise“ die beiden Schauspieler quasi im Dunkeln standen (mit Gegenlicht- man sah nur die Silhouetten, was ich etwas schade fand) und vor allem der Schluss… Aber da will ich nicht zuviel verraten.
Sorry, ich muss hier die englischen Songtitel verwenden, da ich die Deutschen nicht kenne. :oops:
Ich hatte wirklich ziemliche Angst vor der deutschen Übersetzung, da diese ja doch in 99% der Fälle bei einem Musical doch einiges kaputt macht… Aber selbst das war hier zum größten Teil gar nicht so schlimm. Nur an manchen Stellen wirkte es dann doch leider etwas lächerlich, wie das „Yeah yeah yeah“, dass sich zwar im Englischen bei „I Am The One“ fließend einfügt, aber bei einem ansonsten deutschen Text doch sehr wie ein Fremdkörper wirkt. :P

Was ich aber der Inszenierung wirklich hoch anrechne: Es ist das zweite Musical (nach Billy Elliot), dass es geschafft hat, mich wirklich zu Tränen zu rühren. (Und ich habe in den letzten 24 Jahren wirklich so einiges an Musicals gesehen! ) Und den Leuten um mich herum ging es ähnlich. Da wurden so einige Taschentuch-Packungen geöffnet. Die Frau neben mir hat sich irgendwann nur noch vor Anspannung in die Fingerknöchel gebissen.
Es braucht eben nicht immer Pomp und Glitzer um die Menschen zu berühren. Sondern vor allem packende Musik, eine wirklich ergreifende HANDLUNG (bei vielen „Musicals“ ja wenn überhaupt, nur rudimentär vorhanden) und tolles Schauspiel. Zumindest ist es bei mir so. :oops:
Und damit komm ich jetzt auch noch eben zu den Darstellern:

Ich habe es als positiv empfunden, dass hier nicht in allen Rollen Musical“stars“ besetzt wurden, wie es z.B. in Fürth der Fall war, wo ja quasi alles dabei war, was in der Musicalszene Rang und Namen hat. Vermutlich konnte mich das Stück gerade dadurch so berühren, weil ich eben nicht die schon x-Mal gesehenen Gesichter und Stimmen vor mir hatte und ich so nicht automatisch eine (stimmlich überforderte) grüne Hexe im Hinterkopf hatte, deren Mutter die Kaiserin von Österreich und ihr Vater Buddy Holly ist… ;) . Nichts gegen die Fürther Besetzung, ich habe sie, wie gesagt, nicht gesehen. Aber ich empfand es einfach für mich als sehr angenehm.

Einzig Felix Martin wird aus dem Ensemble vielleicht einem breiteren Musical-Publikum bekannt sein. Aber auch hier fand ich es erfrischend, ihn mal in einer „heutigen/menschlichen“ Rolle zu sehen. Diese natürlich gnadenlos überzeichnet aber herrlich selbstironisch. Ein wirklich prima Psycho-Dr. Fine und Kreisch-Rockstar-Dr. Madden! :D

Am Wichtigsten ist und bleibt natürlich die Besetzung der Hauptfigur:
Diana Goodman wird in Berlin von Katharine Mehrling verkörpert und mich hat sie total begeistert. Sie hatte den richtigen Schuss Wahnsinn, ohne lächerlich zu wirken. Zwischendurch immer ein niedliches, leicht entrücktes Lächeln, die nötige Zerbrechlichkeit und eine tolle Stimme! Man muss vielleicht ihre Art zu Singen mögen, aber mir gefällt sie unglaublich gut! Und für meine Ohren wesentlich angenehmer als die metallische Stimme von Pia. :oops: (Jetzt bitte nicht steinigen! ;) )

Ihr Mann Dan wurde gespielt von Guntbert Warns. Offenbar ein alter Hase am Renaissance-Theater, da er dort schon in mehren (Sprech-)Stücken gespielt hat und spielt. Er kommt eindeutig vom Schauspiel, leider ist seine Gesangsstimme nicht ganz so, wie ich sie mir für diese Rolle gewünscht hätte. Er ist ganz anders als die Broadway-„Dans“ oder eben auch Thomas Borchert, nicht der attraktive Typ Ehemann. Sondern ein Normalo mit Brille, beginnender Glatze und Bauchansatz. Und vielleicht hat er mich gerade deswegen so berührt. Der verzweifelte bis zum Letzten treue Ehemann, der krampfhaft alles richtig machen will und dabei oft genau das Falsche tut und riesige Angst davor hat, alleine zu sein. Da konnte ich fast über den etwas schwachen Gesang hinweg sehen (aber eben nur fast ;) ).

Die drei Jugendlichen wurden hier, was ich sehr schön fand, mit Schülern der UdK Berlin besetzt (jeweils zwei Besetzungen pro Rolle). In der Pause habe ich mich kurz mit ihren Mitschülern, die zahlreich in der Vorstellung waren, unterhalten und erfahren, dass es sich um Schüler des 6. Semesters handelte, die also noch zwei Semester bis zu ihrem Abschluss lernen werden.
Und ich muss sagen, was die drei geleistet haben, war nicht von schlechten Eltern!
Einzig Sophia Euskirchen als Natalie war der Rolle stimmlich doch nicht ganz gewachsen. Kräftig in den tieferen Lagen, schön zart bei den leiseren hohen Partien, aber eben gerade in der Höhe wurde es, wo Kraft hätte sein müssen, sehr dünn. Gerade bei „Superboy And The Invisible Girl“ fand ich das sehr schade. Aber ihr Spiel mit sehr ausdrucksstarker Mimik war überzeugend (anfangs dachte ich manchmal, sie übertreibt ein bisschen, aber gerade auf einer größeren Musicalbühne wird sie das gut brauchen können) und das mit der Stimme kann sich ja auch noch entwickeln (zudem war es wohl ihre erste Show, sodass sie sicher auch ziemlich aufgeregt war).

Anthony Curtis Kirby gab einen sehr sympathischen Henry, der sich jede Minute bemühte, seiner Freundin beizustehen, ob sie das nun wollte oder nicht. Er hatte genau die rührende Art, die ein Henry braucht. Gesanglich war er gut, aber viel kann man bei dieser Rolle ja nicht über die Gesangsqualitäten sagen, dazu ist er dann doch zu wenig solistisch aktiv.

Geradezu umgehauen hat mich schließlich Dennis Hupka als Gabe. Was für eine Energie! Und eine tolle, kraftvolle und vor allem sichere Stimme! Er wirkte wirklich schon wie ein Profi. Und zudem hatte er das passende „Teenie-Schwarm“-Aussehen, das er auch oft genug mit nacktem Oberkörper präsentieren durfte… ;)

Allgemein fand ich es sehr positiv und passend, drei „echte junge Leute“ auf der Bühne zu sehen. Diese frische, überschäumende Spielfreude sucht man ja doch auf den großen Long Run-Musicalbühnen immer öfter vergebens.

Alles in allem kann ich diese Inszenierung eines der besten Musicals der letzten Jahrzehnte nur wärmstens empfehlen. Wenn ihr die Gelegenheit habt, schaut es euch unbedingt an! :)


Sorry, jetzt ist es doch wieder lang geworden. :oops: :oops: :oops:
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Re: Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Beitragvon duketgg » 14.06.2015, 08:27:00

Toller Bericht! :handgestures-thumbupright:
Von der Beschreibung her sieht das Berliner Bühnenbild nicht so viel anders als das Fürther.
Am Samstag werde ich sehen, ob sich meine Vermutung bestätigt.
"Da spielen teilweise Leute Hauptrollen, die hätten bei mir nicht einmal in der dritten Reihe getanzt."
(Peter Weck übers derzeitige Musical-Niveau)

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Re: Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Beitragvon DracosAdriana » 14.06.2015, 10:21:59

Danke für den tollen Bericht, freu mich um so mehr auf Samstag! Ich liebe Katharine aber ich muss dir recht geben, ihre Stimme wird nicht jedem gefallen! Mir gefällt sie jendenfalls und ich freu mich auf sie!

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Re: Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Beitragvon smaragdgrün » 14.06.2015, 13:45:16

Vielen Dank für den Bericht. Wie gerne würde ich das Stück auch in Berlin sehen!
Ist es denn die gleiche Übersetzung wie in Fürth?

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Re: Fast normal (Next To Normal), Renaissance-Theater Berlin, 11.6.2015 (Voraufführung)

Beitragvon Elphaba » 14.06.2015, 15:00:06

Das kann ich leider nicht beantworten, da ich die Fürther Version nicht kenne.

Danke euch! :)

Ich bin auf eure Meinungen zum Stück gespannt!
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