Ghost Operettszínház – 31.5.2013, 19.00 Uhr - Premiere

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serena
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Ghost Operettszínház – 31.5.2013, 19.00 Uhr - Premiere

Beitragvon serena » 03.06.2013, 23:10:08

Ghost
Operettszínház – Freitag, 31.5.2013, 19.00 Uhr - Premiere

Für das Operettszínház ist Ghost eine ungewohnt technisch orientierte Produktion. Neben den klassischen Bühnenelementen (z.B. drehbare Gebäudeteile, herein geschobene Büroelemente sowie Wohnungseinrichtung, Hubpodien, Drehbühne) gibt es einen beachtlichen Einsatz an technischen visuellen Elementen.
Auf den Vorhang wird vor Beginn der Vorstellung in blau-weiß der Schriftzug „Ghost“ projiziert, der sich immer ein bisschen fließend verändert. Mit recht rasanten Projektionen durch nächtliche Hochhaus-Straßenzüge geht es während der Ouvertüre weiter, bis der Blick auf eine dahinter noch recht kahl wirkende Wohnung frei gegeben wird.
Projektionen tauchen im Verlauf des Stücks sehr oft auf, entweder direkt groß auf dem Hintergrund, wie z.B. die Metro (die den blauen Kastenwagen der Budapester Linien 2 und 3 seeeehr ähnlich sehen) oder auf den Prospekt am vorderen Bühnenrand. Auch am seitlichen Bühnenrand bzw. als Detail im Hintergrund (z.B. EKG-Kurven) sind Bühnenelemente aus Licht zu finden. Übergänge in die diversen Reiche des Todes (Zwangsabtransport oder Erlösung aus dem Geisterleben) werden mit viel Rauch und grünem Laser dargestellt. Und um den recht hohen Einsatz an Technik zu vervollständigen, gibt es eine LED-Wand, die aus dem Bühnenboden hoch fährt und meist ergänzende Bilder bietet. So sind am Ende des ersten Aktes Aufnahmen von Molly und Sam aus glücklichen Zeiten zu sehen. Das letzte Bild fängt von der Mitte aus plötzlich an zu brennen, bis es ganz verschwindet. Bei Oda Maes großem Auftritt im zweiten Akt werden berühmte Persönlichkeiten eingeblendet, darunter auch Präsident Obama und Whoopi Goldberg. Auf letztere reagierte das Publikum mit kurzem Auflachen. Teils dient die LED-Wand auch als Sitzplatz für Sam, der dort „seinem“ Geschehen folgt.

Die Geister werden per Lichtdesign von den Sterblichen durch blau angestrahlte Gesichter unterschieden. Treffen nur Geister aufeinander, fällt der Effekt manchmal geringer aus.
Etwas enttäuschend jedoch sind die Bewegungseffekte der Geister. Sam zeigt genau einmal, dass er es nun schafft, durch Wände zu gehen. Bereits beim zweiten Versuch gelingt es ihm. Der Effekt sieht gut aus (und muss etwas mit der Scheibe zu tun haben, die nur in dieser Szene zwischen Sam und dem Publikum steht). Alle weiteren Wege durch Wände werden jedoch lediglich durch entsprechende Geräuschuntermalung („Wusch“) verdeutlicht, da man sich dann im Bühnenbild die Wandelemente denken muss. Schade.
Der Metro-Geist bietet mit herumfliegenden Zeitungen, zerschlagenen Automaten und kopfstehenden Fahrgästen pro Akt einmal etwas Geister-Action. Ich persönlich frage mich, ob die Fahrgäste das alles nicht bemerken, denn es reagiert niemand auf diesen recht auffälligen Spuk... Die weiteren Versuche des Geist-Sams, ins Geschehen einzugreifen, werden ebenfalls gerne mit den Geräuschen untermalt. Interessant gestaltet ist Sams Schock-Maßnahmen in Carls Büro: Aus dem Schrank fallende Aktenordner, ein sich selbst abnehmender Telefonhörer oder Tastaturgeräusche samt leuchtenden Wörtern auf dem Bildschirm sehen wirkungsvoll aus.

Weiterhin lebt die Vorstellung vom Timing der Darsteller.
Und an dieser Stelle empfiehlt sich dringend ein mittlerer Platz, denn am Rand geht davon einiges verloren. So ist oft gut zu sehen, wie Sam und die Menschen um ihn herum immer haarscharf aneinander vorbei gleiten (Sam rennt oft genug stolpernd bis fallend an ihnen vorbei). Der Effekt des „Durchgleitens“ durch die Menschen oder umgekehrt tritt so leider selten auf.
Andere Stellen sind wiederum so exzellent gestaltet, dass Wechsel unbemerkt stattfinden. So ist unklar, ab wann im Kampf die Puppe „Sam“ auf dem Boden liegt. Während man noch den Darsteller auf dem Boden vermutet, kommt er von der rechten Seite als Geist auf die Bühne gelaufen. Unklar ist auch, wann das Carl-Double auf die Bühne kam, der dann „tot“ hinter dem Geist-Carl auf der Bühne liegt. Dass es sich um einen Darsteller handelt, wurde erst am Ende der Szene deutlich, als sich der Darsteller für alle gut sichtbar zu früh an die Seite rollte, was vom Publikum mit kurzen Auflachen quittiert wurde.

Die Kostüme spiegeln stets wunderbar die Situationen, Beziehungen und Zustände der Personen wider. Molly betritt sichtlich glücklich, noch im weißen Maleranzug die Bühne, gefolgt vom ebenfalls anstreichbereit gekleidetem Sam und dem im penibel sauberen Anzug erscheinenden Carl. Hier wird durch die Kostüme deutlich, wie die Rollen zueinander stehen: zusammen gehörend und doch ist Carl anders. Das zeigt sich auch später in der Szene, in der Molly und Sam sich, inzwischen in zivil, intensiver näher kommen und Carl sich recht fehl am Platz fühlend lieber verabschiedet. Im Verlauf der Geschichte „bekleckert“ Carl sein Hemd mit Kaffee und verlangt als Ersatz das rote Hemd von Sam, um sich kurz darauf an Molly ran zu machen. Sam reagiert darauf mit Entsetzen. Wer sieht schon gerne, wie der Ex-beste Freund seine geliebte Partnerin „ausspannt“.
Geister tragen stets die gleichen Kostüme und zwar das, was sie im Moment des Todes an hatten. Je nach bisheriger Dauer des Lebensstils sehen sie mehr oder weniger ordentlich bis verlottert aus. Für Oda Mae Brown und ihre Begleiterinnen fiel das Design eher Latino-Hippie-mäßig aus, Willie Lopez kommt wie ein Rocker daher. Für jeden Charakter gibt es das passende Outfit. Die Kostüme unterstreichen somit sehr schön die Charaktere und unterstützen die Darsteller bestens in ihrem Spiel.

Das fällt trotz oder gerade wegen des großen technischen Aufwands sehr menschlich und emotional aus. Alle Rollen schaffen es, ihren Figuren ein deutliches Profil zu geben und das Publikum zu erreichen.
Dolhai Attila bewegt sich als Sam zwischen Hoffnung, Entsetzen, Mut und Verzweiflung. Sein Leben als Geist gleicht einem ständigen Auf und Ab. Passenderweise merkte er zu Beginn des ersten Aktes selber an, dass nach Glück in seinem Leben stets ein Absturz folgt. Diese unterschiedlichen Stimmungen setzt Dolhai Attila sehr gut um, so dass am Ende sein vollständiger Rollen-Tod auch für das Publikum eine berührende Erlösung ist. Sehr unterhaltsam ist sein Versuch, Molly mittels Gitarren- und Gesangsdarbietung (Unchained Melody) von seiner Liebe zu überzeugen. Die zeitweise seht tiefe Stimmlage sowie die interessanten Posen sorgen für einige Lacher. Bemerkenswert ist auch die schauspielerische und stimmliche Kondition des Darstellers, der in fast jeder Szene aktiv ist, zumindest aus den Off sprechend. Eine Anstrengung, die man ihm zu keiner Zeit ansieht.

Vágó Bernadett ist seine Partnerin, die als Molly ebenfalls mit allen Facetten ihrer Rolle zu überzeugen weiß. Sehr ergreifend ist ihr Solo „Minden perc úgy fáj“ (Without you) am Ende des ersten Aktes, mit dem sie nicht nur die Passanten auf der Bühnen-Straße berührt.

Als Gegenspieler Carl Bruner hat Mészáros Árpád Zsolt eine gradlinige Rollentwicklung vom besten Freund und guten Kollegen zum gewalttätigen Verbrecher zu bewältigen, und dies gelingt ihm mühelos mit fließenden Übergängen. Trotz seiner zunehmend unsympathischen Art behält er etwas menschliches in der Rolle, die ihm beim Ableben nicht nur das Mitleid von Sam einbringt.

Dem Applaus nach ist Szulák Andrea als Oda Mae Brown neben Sam der Publikumsliebling. Sie weiß mit gutem komödiantischen Talent ihre Soli sowie die Dialoge mit Molly, den anderen Geistern und insbesondere Sam zu nutzen und zu großen Auftritten zu gestalten. Passende Lacher sowie Szenenapplaus sind ihr sicher. Ihre Rolle ist in der überwiegend traurigen Geschichte eine willkommene Aufmunterung.

Németh Attila gibt einen sehr zugeknöpften jedoch berechnenden und knallhart wirkenden Willie Lopez, der sich neben den Auftrags-Verbrechen noch für Drogen interessiert. Sonst ist über seine Person wenig zu erfahren, was der Rolle gut steht.

Szabó P. Szilveszter zeigt in seinem einzigen Auftritt pro Akt als Metro-Geist jeweils eine herrlich verzweifelte Aggressivität und Bindungsangst, dass es eine Freude ist, ihm beim „Bearbeiten“ der Gegenstände zuzusehen. Im Endeffekt stand er sich mit seinem bisherigen Verhalten selber im Weg, wie sich nach der Anleitung Sams samt Aussprache seiner Geschichte zeigt. Musikalisch ist er leider etwas auf der Strecke geblieben, da sein Lied quasi keine Melodie bietet, sondern nur aus Beats und gesprochenem Text besteht. Es ist nicht klar, wann sein Lied beginnt und endet, weil die Übergänge zu den Dialogen fließend sind.

Földes Tamás hat als Krankenhaus-Geist die Aufgabe, Sam in das Leben als Geist einzuführen und einige Geist-Weisheiten zu unterbreiten. Sein Solo gestaltet er unterhaltsam, wenn es auch nicht gerade zur Tiefe der Geschichte beiträgt. Beim Publikum kommt das Lied bestens an.

Vörös Edit und Bori Réka haben als Assistentinnen von Oda Mae Brown keine umfassenden Charaktere darzustellen, spielen ihrer Rollenchefin gut zu. Ebenfalls nicht oft im Einsatz ist Siménvalvy Ágota als Mrs. Santiago, die herrlich naiv Kontakt zu ihrem verstorbenen Partner sucht. In genau einer Szene darf Dészy Szabó Gábor den nicht ganz so hellen Bankangestellten Furgeson geben, der mit seiner schlichten Art einen guten Gegenpart zu Oda Mae Brown bietet.
Die Darsteller werden effektiv unterstützt vom Gesangs- und vom Musical-Ensemble des Theaters. Gerade im Bezug auf den hohen technischen Anteil der Produktion ist es bemerkenswert, wie präsent und klar die Darsteller ihre Rollen präsentieren. Gratulation!

Die Musik bietet nette Popsongs durchaus mit Ohrwurmqualität, vom Solo des Metro-Geistes abgesehen (siehe oben). Fließende, leicht wirkende Melodien für die glücklichen Momente, härtere Töne für negative Ereignisse. Das Orchester bietet alle Klangfarben sicher und differenziert um. Das flotte aber nie überhastete Dirigat lässt keine Längen aufkommen. Die Choreografie wirkt stets den Situationen gemäß und sich nie in den Vordergrund spielend.

Ghost als Produktion in einen Repertoire-Betrieb aufzunehmen ist vom technischen Aufwand her ein mutiger Schritt. Die Technik dürfte leider gleichzeitig die Schwachstelle sein, die einigen Zuschauern weniger gefallen wird. Den Darstellern ist dies nicht anzulasten, sie bieten eine durchweg berührende, überzeugende Leistung, die den Besuch der Vorstellung mehr als rechtfertigt. Bleibt abzuwarten, ob die Produktion auch den Weg auf die CD finden wird. Verdient haben es die Musiker und die Darsteller allemal.


Die Premieren-Besetzung in der Übersicht:
(Namen sind in der ungarischen Reihenfolge, also Familienname zuerst.)
Sam Wheat: Dolhai Attila
Molly Jensen: Vágó Bernadett
Oda Mae Brown : Szulák Andrea
Carl Bruner: Mészáros Árpád Zsolt
Willie Lopez: Németh Attila
Metró-Geist: Szabó P. Szilveszter
Krankenhaus-Geist: Földes Tamás
Clara: Vörös Edit
Louise: Bori Réka
Mrs. Santiago: Siménvalvy Ágota
Furgeson: Dészy Szabó Gábor
in weiteren Rollen: Sz. Nagy Ildikó, Nagy Bea
Musical-Ensemble und Gesangs-Ensemble des Operettszínház

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serena
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Re: Ghost Operettszínház – 31.5.2013, 19.00 Uhr - Premiere

Beitragvon serena » 05.06.2013, 22:27:19

Wer einen visuellen Eindruck haben möchte:
Hier gibt es 2 Videos, in denen neben Interviews auch Ausschnitte aus der Vorstellung zu sehen sind.

http://www.youtube.com/watch?v=y0fxRWcP0is

http://www.youtube.com/watch?v=FuEpXcjHAWA

edit: Und hier sind die offiziellen Fotos:
http://www.operett.hu/galeria.php?kategoria=251&kep=10022


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