Avenue Q, Nationaltheater Mannheim – 26.5.2012, 19.30

Wie gefiel euch eine Vorstellung und was würdet ihr kritisieren?

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serena
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Avenue Q, Nationaltheater Mannheim – 26.5.2012, 19.30

Beitragvon serena » 28.05.2012, 22:24:32

Avenue Q
Nationaltheater Mannheim – Samstag, 26.5.2012, 19.30 Uhr

Tipp für alle, die derbe und direkte Sprache auf der Bühne vertragen bzw. mögen: Seht´s euch an! Das Stück ist einfach genial! Ich habe lange nicht mehr ein Musical gesehen, in dem ich so viel Spaß hatte und in dem die Zeit im Flug vorbei ging. Einfach klasse!

Im Vergleich zur CD der Broadway-Version braucht sich die deutsche Fassung echt nicht verstecken. Die Witze sind super gut übertragen worden, einige wurden zwangsweise ausgetauscht, da sie für hier zu amerikanisch wären. Das gilt auch für die Rolle des Hausmeisters, da „Gary Coleman“ hierzulande völlig unbekannt sein dürfte.

Da der deutsche Hausmeister Daniel (Küblböck) nun mal keine dunkle Hautfarbe hat, tritt dieser Aspekt im Song „Jeder ist ein bisschen rassistisch“ in den Hintergrund. Statt dessen dürfen sich Daniel und Kate streiten, ob Jesus nun schwul oder mit Maria Magdalena zusammen war.
Anstatt von „Mexican bus-boys“ spricht Princeton von russischen Putzfrauen, die die Wohnung leer räumen und den Polen, die alle mit geklauten Autos fahren. Und Daniel erzählt natürlich keine Witze über Polen oder Franzosen (wie in London), sondern über Türken. Brian darf am Ende des Songs sein Shirt hoch halten, und das Logo der NPD auf dem Bauch zeigen. Außer der Hautfarbe gibt es im Song also genug weitere „rassistische“ Themen.

Auch das Mix-Tape, dass Princeton der Kate schenkt, hat andere Lieder drauf. Statt „The Theme from Friends“ gibt es „Friends will be friends“, und für „Good night Saigon“ gibt es „The show must go on“. Bei letzterem merkt Princeton noch an: „Da war Freddie schon halb tot.“, was bei Kate eher für Entsetzen sorgt...
Schadenfreude wird nun natürlich nicht mehr als „typisch deutsch“ bezeichnet. Statt dessen stellt Nicky einfach fest, dass es Spaß macht, „sich am Unglück anderer zu ergötzen“.
Wie in der Londoner Fassung wollte Christmas Eve im China-Restaurant arbeiten, was als Japanerin daneben ging. Dafür hat sie hier nun Krankenpflegerin gelernt. Auch nett.
Etwas Lokalkolorit gab´s auch, als Brian am Ende von seinen Karriereplänen erzählte. Er werde Intendant in Mannheim – und das überwiegend einheimische Publikum brach in lautem Gelächter aus. Nur gut, dass Christmas Eve gar nicht wusste, was das ist.

Einige nette Anspielungen sind auch im Stück versteckt. Kate´s Schule heißt „Monsterssory Schule“. Und Auf dem Schild am Haus steht passend zur gespielten (?) Intelligenz Daniels „Zu vermiten“. Interessanterweise fällt das erst auf, als der Neuankömmling dies auch genau so falsch betont vorliest. Als Brian das Schild richtig herum aufhing, hat der Saal es brav übersehen...

Einige Sachen sind in Englisch geblieben. Das Café heißt immer noch „Around-the-clock“-Café, und Lucy singt weiterhin die Zeile „I can (bzw. Let me) make you feel special“, wenn auch die anderen Zeilen der Strophen auf deutsch sind. Nicky muss anfangs auch von „gay“ singen, damit sich´s reimt, was mit den Bewegungen und der Betonung allerdings gut verkauft wird. Anschließend wird im Lied eh´ auf „schwul“ gewechselt.

Lustig sind auch die Videoprojektionen, die auf einer kleinen Leinwand über der linken Bühnenseite projiziert werden. So bestand die Ouvertüre aus einem kleinen Zeichentrickfilm. Im ersten Akt tauchte die Leinwand immer wieder auf, wenn Princeton seine Bestimmung suchte. Dort wurden ihm z.B. Vorschläge gezeigt, was er denn werden könne: Busfahrer, Frisör (Princeton: „Ich bin doch nicht schwul!“),... Nur das Passende war natürlich nicht dabei.
Nach „Ein schmaler Grad“ schwebte die Leinwand wieder herunter und darauf erschien ein Männchen, das eine Topfpflanze goss. Diese wuchs erst langsam, wobei in Abständen Zettel mit den Zahlen von 1 bis 10 an dem Stängel hingen. Dann wuchs die Pflanze rasend schnell – bis zum Zettel Nummer 20. Auf dem stand dann „20 Minuten Pause“, was nach der ersten Verwunderung über den Zeichentrick wieder für Gelächter sorgte.
Im zweiten Akt sorgte dann die besondere EKG-Kurve Lucy´s für Gelächter. Solche „Kurven“ kann auch nur eine *** haben.

Dass die Puppenspieler fast immer zu sehen sind, ist ganz schnell Nebensache. Nach wenigen Augenblicken zieht einem das Puppenspiel so in den Bann, dass man auf die Figuren und nicht auf den Menschen dahinter achtet. Eine Ausnahme ist im Lied „Das Internet ist für Pornos“, bei dem gezielt damit gebrochen wird. Trekkie Monster wird von seinem Spieler und einer zweiten Spielerin bewegt. Während einer Zeile dreht sich die Spielerin um und streckt ihren Po in Richtung Publikum, und Trekkie Monster haut begeistert ein paar mal drauf. Abgesehen von diesem Moment gibt es keine Interaktion zwischen Figuren und Puppenspielern.

Dadurch, dass einige Darsteller mehrere Figuren spielen und manche Figuren von zwei Personen bewegt werden, ergeben sich interessante Situationen. Manchmal werden Figuren auf der Bühne weiter gegeben, damit ein Darsteller die nächste Figur einsetzen kann. In anderen Szenen muss ein Darsteller plötzlich zwei Figuren sprechen, spielt davon aber nur eine. Aber all das geschieht so fließend und geschickt eingebaut, dass man es kaum wahr nimmt und schon gar nicht als störend empfindet. Auffällig ist es eigentlich nur in den seltenen Momenten, in denen die zweite Hand der Figur herunter schlackert.

Das Bühnenbild besteht aus einem dreiteiligen Haus mit zwei Etagen. Die drei Blöcke können auseinander geschoben und gedreht werden, um weitere Szenen darzustellen. So entstehen das Café, mit einer von oben herunter schwebenden Turmspitze das Empire State Building und das Krankenhaus.
In welcher Wohnung die Geschichte gerade spielt, wird durch die Fenster gezeigt, die sich entsprechend öffnen. Sind alle Fenster zu, spielt sich alles vor dem Haus ab. Das ist am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, das man im Hintergrund immer die Fassade des Hauses sieht. Aber es ist leicht verständlich und praktisch gelöst.

Die Besetzung:
Princeton / Rod: Manuel Steinsdörfer
Zwei unterschiedliche Charaktere, zwei unterschiedliche Stimmen und Bewegungen. Schön raus gespielt. Es sieht klasse aus, wie er im Fensterrahmen sitzt und Princeton gleichzeitig frustriert auf seinen Beinen hängt. Wenn man´s nicht wüsste, könnten hinter den Rollen auch zwei Darsteller stecken. Toll gemacht.

Kate Monster / Lucy D. ***: Stefanie Köhm
Sie hat in einer Szene ein Gespräch zwischen beiden Rollen zu spielen bzw. zu sprechen. Auf dem Arm hat sie dann nur Lucy, während Kate von der zweiten Spielerin bewegt wird. Beeindruckend, wie fließend sie zwischen beiden Stimmen wechselt. Man könnte meinen, es sprächen wirklich zwei Personen. Sie fiel als Mensch eher hinter den Figuren auf, allerdings weil sie als einzige ein kurzes Kleid trug.

Brian: Jonathan Agar
Er wollte mal Comedian werden. Warum das nicht klappte, merkt man bei jedem seiner Versuche. Und man versteht bestens, warum Christmas Eve ihn einen gescheiten Job suche schickt. Entweder sitzt die Pointe nicht, oder er weiß noch keine! Herrlich, wie überzeugend misslingend er diese Versuche spielt. Für diese Rolle braucht es deutlich komödiantisches Talent, und das hat er.

Christmas Eve: Lanie Sumalinog
Interessanterweise fiel mir bei ihr erst im zweiten Akt so richtig auf, dass sie L und R vertauscht. „Lod“ klingt echt gut. Ihre eingeschränkten Therapieerfolge sind, so nett sie ist, spätestens dann verständlich, wenn sie Ratschläge geben soll. Diese kommen eher verbalen Schlägen gleich als einem Rat: Wenn der Babyvogel von Mutter aus dem Nest geschubst wird, nicht fliegt, auf den Boden fällt und von Katze gefressen wird, dann muss Babyvogel nächstes mal besser machen. Ah ja... Schön, dass sie zwar einige Asiatin-Klischees nutzt, aber nie übertreibt. So bleibt sie immer noch eine nette Mitbewohnerin.

Nicky / Trekkie Monster / Bullshit Bär / Neuankömmling / Stimme Ricky: Florian Claus
Also bei ihm fällt wirklich nicht auf, dass er zwei Hauptrollen spielt. Er spricht Nicky und Trekkie so genial anders, dass die Doppelbesetzung gar nicht auffällt!

Lavinia Sremmelmöse / Bullshit Bär / Spielerin: Lucy / Trekkie Monster / Rod / Kate / Nicky / Princeton / Ricky: Cornelia Löhr
Sie steht ständig auf der Bühne, hat aber am wenigsten zu singen bzw. sprechen. Dafür muss sie immer wieder die zweite Hand einer Figur bewegen bzw. eine Figur ganz übernehmen. Dabei kann sie diese in deren typischen Stil bewegen, so dass die Wechsel im Spiel nicht zu bemerken sind.

Daniel: Martin Schäffner
Was für ein Wirbelwind! Der fegt ja über die Bühne! (Darin ist jetzt übrigens ein Wortspiel versteckt.) Das passende Dauergrinsen samt Quietsch-Stimme bringt er auch mit. Leider hat letzteres die Folge, dass man einige Wörter nur schlecht versteht. Und einen irgendwie bayrischen Dialekt konnte ich nicht ausmachen. Aber das stört mich weniger. Seine Pointen saßen, egal ob es die „richtigen“ oder absichtlich misslingenden waren. Überraschend war für mich, dass so einige Leute im Publikum überlegen mussten, wer er denn darstellen solle. Dabei durfte er sich glatt mit dem Gurkenlaster-Autounfall vorstellen und erzählen, dass er im Dschungel-Camp bzw. im (Big Brother-) Container war.

Umzugskartons: Cornelia Löhr, Stefanie Köhm, Florian Claus
Ein Umzugskarton-Mädchen und ein Umzugskarton-Junge werden im Programmheft sogar mit ihrer Kurzbiografie vorgestellt. Jetzt fragt sich nur, wer die anderen 3 Kartons auf der Bühne sind.

Apropos Programmheft: Das ist im Din-A5-Format, schön handlich, und bietet die Hintergründe zum Musical, eine Inhaltsangabe, die Kurzbiografien der Rollen, ein paar Ausschnitte der Songtexte und schöne Farbfotos. Und das für 2,50€. Was will man mehr?!

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Re: Avenue Q, Nationaltheater Mannheim – 26.5.2012, 19.30

Beitragvon Kitti » 29.05.2012, 22:30:02

Danke für deinen Bericht, klingt ja echt klasse. Ich würde das Stück so gern mal in dieser Besetzung sehen, besonders Stefanie Köhm finde ich ohnehin toll, kann mir das super vorstellen. :)
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Re: Avenue Q, Nationaltheater Mannheim – 26.5.2012, 19.30

Beitragvon smaragdgrün » 02.06.2012, 06:17:01

Danke für den schönen Bericht. Ich hab es Anfang Mai auch in Mannheim geshen und kann Dir nur zustimmen. Erstaunt war ich, dass das vorwiegend ältere Publikum trotz der derben Texte mit Begeisterung dabei war!

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Re: Avenue Q, Nationaltheater Mannheim – 26.5.2012, 19.30

Beitragvon athosgirl » 02.06.2012, 12:42:37

danke für den Bericht. Ich war gestern und war genau so begeistert!


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