Miss Saigon, Budapest, 30.12.11 nachmittags

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serena
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Miss Saigon, Budapest, 30.12.11 nachmittags

Beitragvon serena » 03.01.2012, 23:23:34

Miss Saigon
Operettszínház – Freitag, 30.12.2011, 15.00 Uhr

Das Stück beginnt wörtlich mit einem knall: Aus dem Nichts tauchen plötzlich überall Granaten werfende Soldaten auf. Sie seilen sich von der Decke ab, klettern durch die seitlichen Bühnenelemente und rennen von vorne auf die Bühne. So wird schnell klar, das Stück wird nicht gemütlich!

Der Hintergrund der Bühne wurde mehrfach für Projektionen genutzt. Zu Beginn flog man quasi durch den Urwald (als einzige Projektion in Farbe, alles andere war in schwarz/weiß) mitten ins Kampfgebiet, dazu wurden Ort, Zeit und Lage der Situation eingeblendet. Zu Beginn des zweiten Aktes gab es Bilder vom Kampfgeschehen samt Text über den Vietnam-Krieg (Dauer, Anzahl der Toten und Verwundeten, Kosten der USA usw.). Später wurden bei „Bui Doi“ Bilder von den Kindern im Waisenheus eingeblendet. Direkt davor stand John und hielt/sang seine Ansprache. Das hatte Wirkung, da war es eigentlich nicht mehr nötig, dass am Ende des Liedes Soldaten mit Kindern auf dem Arm auf die Vorderbühne kamen.
Nett war, dass beim Schlussapplaus nicht nur der Dirigent auf die Bühne kam, sondern auch das Orchester gezeigt wurde. Dazu hatte man einfach eine Kamera durch den Orchestergraben geschwenkt und dies auch auf den Hintergrund projiziert. Das ist doch mal eine schöne Idee!
Ansonsten bestand das Bühnenbild aus 2 seitlichen drehbaren Türmen mit mehreren Ebenen, der Drehbühne in der Mitte, die hauptsächlich die Clubs und die Wohnungen des Professzors bzw. von Chris in den USA darstellte. Die weiteren Zimmer wurden mittels Wandelementen zusammengesetzt und sahen passend schäbig oder ordentlich sowie zeitgemäß aus. Auch eine riesige Statue, ein Hubschrauber und der Cadillac fehlt nicht. Sämtliche Umbauten gelangen zügig, ruhig (ok, der Hubschrauber war wirklich laut eingespielt) und ohne die Handlung aufzuhalten.

Die Kostüme sehen recht realistisch aus. Die Animierdamen laufen sehr knapp bekleidet rum, teils tragen sie nur einen Bikini, die Gis tragen grüne Uniform-Kleidung (Hemd und Hose), die Vietnamesen später graue Uniformen. Im „American Dream“ gibt es stapelweise Klischees wie Bodybuilder im US-Flaggen-Outfit (er dürfte in Echt aber noch ein paar Muskeln zulegen), Marylin Monroe-Kopien und andere glitzernde Tänzer/innen. Also optisch blieben keine Wünsche offen.

Die Handlung ist bei dem Stück allerdings eine Sache für sich. Denn mitten im ersten Akt ist die Geschichte plötzlich 3 Jahre weiter (ab „Die Dämmerung des Drachens“). So richtig deutlich wird das allerdings erst, als Kim weitere Szenen später ihren Sohn vorstellt. Und zwischen diesen beiden Szenen liegen nochmal Monate. Darauf verweist der Text des Professzors, der sagt, er habe Kim monatelang gesucht. Wer das nicht mitbekommt, wundert sich schnell, woher Kim auf einmal den Sohn nimmt. Was in den drei Jahren passiert ist, wird gar nicht erzählt. Wie es zur Trennung von Kim und Chris kam, erlebt man erst im zweiten Akt als eine Art Rückschau, dargeboten als Kims Alptraum. Und das an einer Stelle, wo´s nicht wirklich von Belang ist. Im ersten Akt wäre die Szene zum Verständnis viel interessanter gewesen.
Dazu kommt, dass zahlreiche Rollen in einigen Szenen auftauchen und schnell wieder weg sind. Viel zu tun hat neben Kim, Chris, John und später noch Tam nur der Professzor. Alle anderen Rollen sind eher nette Ergänzungen. Und die „bleibenden“ Rollen konnten sich zwangsweise erst im zweiten Akt so richtig entwickeln.

Die Besetzung:
Professzor: Szabó P. Szilveszter
Der erste Star des Abends! Wann immer er die Szene betritt, hat er sie im Griff! Egal ob als großer Hausherr und berechnender Geschäftsmann seines Clubs, sich anbiedernder, unterwürfiger Mensch, der alles für das gewünschte Visum tut, oder entnervter Club-Mitarbeiter in Bangkok, der vom großartigen Amerika träumt: es gelingt ihm alles durchweg überzeugend und wirkt dabei so leicht dargeboten. Einfach faszinierend! Er bekommt zu Recht neben Tam den meisten Applaus! Besonders beeindruckend gelingt ihm die Solo-Feier „Tja, wer stirbt nicht gern im Bett“, in der er mit der Sektflasche um sich und auf das Bild des Herrschers spritzen darf. Seine hämische Mimik und Lache sind genial. Hierbei kann er schauspielerisch so richtig aus dem Vollen schöpfen.
Umso interessanter ist es, dass sein zweiter besonders starker Moment die Schlussszene mit Tam ist. Wie er still neben dem Zimmer hockt, dann Tam hoffnungs- und liebevoll die Hand reicht und deutlich verzweifelt, als Tam ihn sitzen lässt, ist schlicht beeindruckend!
Bewundernswert ist auch, wie er es durchhält, sich die ganze Show über vorgebeugt und tief in den Knien zu bewegen. Es passt zu seinem durchweg runden Rollenportrait. Mir täten nach den ersten Szenen bereits die Beine weh...
Also wenn es einen Grund gibt, diese Produktion zu gucken, dann ist er es! Meine Hochachtung vor dieser Leistung!

Kim: Dancs Annamari

Eine hübsche Kim, die wirklich jung und (besonders im Vergleich zum Damen-Ensemble) klein und zierlich wirkt. Das kann man von ihrer Stimme und ihrer schauspielerischen Darbietung nicht behaupten! Sie singt mit einer angenehmen und dennoch kräftigen Stimme und wirkt in jeder Situation durchweg überzeugend, egal ob als Anfängerin im Club oder entschlossene Mutter. Bei ihr wird auch die Entwicklung der Rolle deutlich, was bei der manchmal sprunghaften Handlung nicht einfach ist! Sehr schön! Man merkte ihr zu keiner Zeit an, dass sie noch recht frisch von der Musicalschule ist. Ein großes Talent, dass man garantiert in weiteren großen Rollen sehen wird!

Chris: Dolhai Attila

Apropos sprunghafte Handlung: Dass Chris in den USA ein neues Leben beginnen will, ist durch die Handlung unfreiwillig (?) bestens dargestellt: Sein neues Leben / seine Frau taucht wie nach einem Schnitt plötzlich auf. Einen Übergang in die neue Situation gibt es nicht.
Dementsprechend findet die Entwicklung der Rolle so richtig erst im zweiten Akt statt, wenn er sich zwischen Kim und Ellen entscheiden muss. Vorher stellt er einen zugegeben überzeugenden verliebten GI dar, der mit seiner warmen, kräftigen Stimme die Inhalte sicher zu transportieren weiß. Wenn er noch etwas weniger in Richtung Publikum stehen / agieren dürfte (besonders bei „Gott, warum?“) und beim Singen seine Mimik genau so lebendig einsetzen würde, wie beim Sprechen, dann wär´s auch im ersten Akt traumhaft. So wirkte der zweite Akt zwangsweise stärker.

John: György-Rósza Sándor
Seine Rolle kommt erst zu Beginn des zweiten Aktes richtig zur Geltung. Vorher im Kriegsgewirr ist er zwar ständig präsent, aber ohne große Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. Er hat immer nur kurze Momente zu agieren. Dafür gelingt ihm die gesungene Ansprache umso beeindruckender. Man merkte richtig, dass sich John mit Herzblut um die Kinder einsetzte. Dementsprechend fiel es ihm schwer, Kim die Wahrheit über Chris zu erzählen. Er verzweifelte regelrecht daran. Sehr schön gespielt!

Ellen: Bordás Barbara
Sie ist im ersten Akt plötzlich da und dann nach einem Lied gleich wieder weg. Und im zweiten Akt taucht sie plötzlich wieder auf. Wenigstens darf sie dann etwas mehr spielen, was sie auch sehr gut nutzt und überzeugend um ihren Mann kämpft. Mir persönlich gefällt ihre tiefe, klassische Stimme nicht so sehr, sie ist mir etwas zu klassisch für das Stück. Andererseits passt sie gut zu Chris´ Neuanfang, weil sie so auch stimmlich einen Gegensatz zu Kim bildet.

Thuy: Kerényi Miklos Máté
Ein Wirbelwind kommt auf die Bühne! Er stürmte regelrecht in die „Hochzeits-“-Szene, fegte wütend durch selbige und war genau so schnell wieder verschwunden. Passenderweise sah er auch noch zerzaust aus. Eine recht kurze Szene, mit der er sich deutlich bemerkbar machte. Als hohes Mitglied des Militärs spielte er seine Rolle genau so zugeknöpft, starrköpfig und ohne Liebe wie seine Uniform wirkte. Einfach rundum passend. So möchte er Kim stets per Waffengewalt zur Heirat zwingen. Platz für positive Gefühle scheint es in seinem Herzen gar nicht zu geben, nichtmals als rundum bleicher Alptraum. Das bringt er mit deutlicher Stimm- und Bühnenpräsenz rüber!

Gigi: Csengeri Ottília
Optisch wohl die dienstälteste der Animierdamen, auch stimmlich klingt sie tiefer und älter als die Damen aus dem Ensemble. Im Vergleich zu ihnen sieht sie mit dem Spitzen-Body richtig bekleidet aus. Dass sie zur „Miss Saigon“ gewählt wird, ist allerdings wenig wunderlich. Sie geht nämlich ganz schön hart an die Männer ran und wirkt darin sehr erfahren! Ihr gehört das erste Solo des Abends, das sie sehr gefühlvoll darbietet. In der „Hochzeits“-Szene kann sie nochmal ihre liebevolle Seite zeigen. Dann bleibt ihr nur noch die Möglichkeit, beim Schlussapplaus mit dem Sprung in den Spagat zu beeindrucken, was ihr auch problemlos gelang. Mehr hat diese Rolle nicht zu bieten.

Tulajdonos (Besitzer des Clubs in Bangkok): Csuha Lajos
Ich habe das Gefühl, man musste irgendwie noch jemanden aus dem Musical-Team auf die Bühne bringen. Denn die Rolle des Club-Besitzers ist dermaßen klein, dass man sie eigentlich nicht als eigene Rolle ausschreiben müsste. Er taucht nur in 2 Szenen in Bangkok auf und spricht ein paar Sätze mit dem Professzor. Das war´s. Die Momente gelingen ihm beeindruckend gut. Aber etwas wie eine Rollenentwicklung gibt es so natürlich nicht. Bevor man die Rolle richtig kennen gelernt hat, ist er schon wieder verschwunden.

Schultz: Ambruzs Ádám

Ähm, ja, also ganz ehrlich: ich habe keine Ahnung, welche Rolle das sein sollte. Sehr groß kann sie nicht gewesen sein. Immerhin wird sie noch hinter dem Club-Besitzer aufgeführt.

Tam: Visnyei Máté

Der zweite Star des Abends! Er darf den ganzen Akt lang nicht sprechen bis auf ein „Good bye.“ am Ende. Das klang mit seinem ungarischen Akzent so süß! :) Als Reaktion gab´s prompt Szenenapplaus! In der letzten Szene ging er nach vorne zum Professzor, schaute ihn an und lief, als der Professzor ihm die Hand reichte, zurück ins Zimmer zu Chris. Das und auch all die anderen Szenen sahen so sicher und ruhig aus, einfach beeindruckend!
Beim Schlussapplaus kam er zunächst mit Kim, später auch mit Ellen auf die Bühne. Als die Cast sich nacheinander verbeugt und von der Bühne ging, blieb er beim Professzor. Dieser sprach kurz mit ihm und verbeugte sich als erstes. Danach stand Tam alleine auf der Bühne, ging festen Schrittes nach vorne, verbeugte sich und zeigte ganz cool mit der Hand in Richtung Publikum! :) Beim allerletzten Verbeugen vor dem eisernen Vorhang durfte er wieder zuletzt bleiben, wofür es wieder großen Jubel vom Publikum gab. Ich fand es lieb, dass der Professzor ihn jedes mal ansprach und ihn erst los ließ, nachdem der Kleine nickte. Und so souverän, wie der Kleine sich verbeugte (mit Kopf bis zu den Knien), war´s einfach nur klasse!

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