"Chess" in Bielefeld, 1. Oktober 2011

Wie gefiel euch eine Vorstellung und was würdet ihr kritisieren?

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"Chess" in Bielefeld, 1. Oktober 2011

Beitragvon Piano » 02.10.2011, 16:58:30

So, wieder zurück von der langen Reise nach Bielefeld. Immerhin fahre ich jedes Mal mehr als fünf Stunden in mein Lieblingstheater in Sachen Musical. Das war jetzt mein sechster Besuch in Bielefeld und ich habe es wieder mal nicht bereuht. Mein Hauptgrund war mal wieder Jens, den ich immerhin schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe. Aber mal von Anfang.

Ich hab mich nicht großartig über das Musical informiert und auch nicht die CD angehört, weil ich mich schlichtweg mal völlig unvoreingenommen reinhocken wollte. Das Eine ist natürlich, dass man sich, wenn man das Stück anschaut, ein bisschen mit der Thematik Kalter Krieg und USA-UdSSR-Konflikt auskennen muss, um es vollends zu verstehen. Aber als ehemaliger Geschichts-LKler war diese Voraussetzung natürlich gegeben. Hier mal zur Story:

Die Handlung beginnt mit der Schach-WM im beschaulichen russischen Kurort Meran, in dem der exzentrische Amerikaner Frederick Trumper (Alex Melcher) und der besonnene Russe Anatoly Sergievsky (Veit Schäfermeier) aufeinandertreffen. Überwacht wird das Spiel vom Schiedsrichter "The Arbiter" (Jens Janke), der im Laufe des Stücks immer mehr zum Conférencier wird. Begleitet wird Trumper von der selbstbewussten Florence Vassy (Roberta Valentini), die nach dem vermeintlichen Tod ihrer Eltern aus der Sowjetunion geflohen ist und eine schwierige Beziehung mit Frederick führt, der sie behandelt wie ein Tier.
Während am Anfang der Weltmeisterschaft alles bestens für den amerikanischen Titelverteidiger zu laufen scheint, holt ihn Sergievsky bald ein und Trumper verlässt wütend den Saal. Der Schiedsrichter gibt Florence 24 Stunden, um die beiden Kontrahenten zu einem vernünftigen Gespräch an einen Tisch zu bringen. Sie organisiert ein Treffen, zu dem Trumper jedoch zu spät kommt, wodurch sie Sergievsky kennen und lieben lernt. Als Trumper endlich auftaucht erkennt er sofort, was geschehen ist und verstößt Florence, was ihn aber gleichzeitig in Selbstmitleid versinken lässt. Sergievsky wird zum neuen Schach-Weltmeister erklärt und bittet den amerikanischen Botschafter Walter de Courcey (Michael Pflumm) um Asyl in den USA.
Im zweiten Akt reist Sergievsky an der Seite seiner Geliebten Florence nach Bangkok, um gegen einen Landsmann anzutreten. Der Russische Agent Molokov (Frank Bahrenberg) überbringt ihm die Botschaft, dass Florences Vater keineswegs tot ist, sondern 30 Jahre in Gefangenschaft war und freigelassen würde, wenn Sergiervsky freiwillig das Turnier verliert. Auch trifft er wieder auf Trumper, der als Kommentator zur WM tätig ist. Dieser stellt ihm ein Video vor, in dem Sergievskys Frau Svetlana (Karin Seyfried) und seine Kinder, die er in Russland zurückgelassen hat, um seine Rückkehr bitten. Svetlana ist auch selbst angereist, um ihren Gatten zurück zu gewinnen. Trotzdem ist Sergievsky fest entschlossen, das Turnier zu gewinnen. Unterstützt wird er dabei ausgerechnet von seinem Kontrahenten Trumper, der ihm die Schwachstellen seines Gegners verrät. So kann er seinen Titel tatsächlich verteidigen, entscheidet sich aber, in die UdSSR zurückzukehren und sich von Florence zu trennen, um für seine Familie da zu sein. Die Russen sind zufrieden mit dieser Entscheidung und lassen Florences Vater frei, der seiner Tochter glücklich in die Arme fällt.

Mir hat das Stück an sich wirklich sehr gut gefallen, die Musik ist wirklich gut und die Story einfach spannend. Bloß finde ich, dass sich einige Szenen vor allem im ersten Akt etwas ziehen, was aber definitiv nicht die Schuld des Regisseurs oder der Darsteller ist. Die hochkarätige Besetzung gibt wirklich alles. Alex Melcher blüht natürlich wieder in seiner exzentrischen Rolle, die jedoch auch emotional starke Momente hat wie etwa der Szene, in der Florence sich von Trumper trennt. Der darf daraufhin völlig ausrasten, zerreißt ein Kopfkissen, sein T-Shirt und zerdeppert einen Stuhl (den ich gut für meine aktuelle Theaterarbeit hätte brauchen können, Frechheit :D). Ganz das Gegenteil war Veit als Sergievsky, der wirklich ruhig und besonnen wirkte, sich jedoch völlig bewusst ist, wie sehr er von seinen Gönnern abhängig ist. Stimmlich war er extrem stark (bei Alex muss man das nicht dazusagen, seine rockige Stimme finde ich sowieso genial!). Ne coole Rolle hatte zweifellos Jens, der die meiste Zeit des Stücks auf einem Stuhl über der Bühen schwebt, Figuren mit dem Scheinwerfer verfolgt und alles kommentiert. Er hat die Rolle aber auch voll ausgespielt, sehr selbstsicher, etwas tuntig :lol: Er wusste ja, dass ich und ein anderes Mädel aus dem ehemaligen Fanclub da waren und hat uns dann auch bald im Publikum entdeckt und seine "überdimensionale Wasserpistole" (O-Ton des Dramaturgen ;-)) auf uns gerichtet oder uns ganz cool vom Bühnenrand aus zugenickt. Über sowas freu ich mich imemr wieder. Am Anfang kam ja (mal wieder) eine Ansage des Dramaturgen, dass Jens erkältet sei und seine Stimme deshalb möglicherweise nicht immer voll da ist. Das war aber nicht so, er hat klar und schön gesungen wie immer. Er meinte danach auch, dass er am Mittwoch richtig krank gewesen sei, es ihm aber gestern schon wieder weitaus besser ging und der Dramaturg das nur für alle Fälle gesagt hat.
Absolut grandios war auch Roberta als Florence. Sie hat wirklich ne starke Stimme und tolle Ausstrahlung. Ihr Zusammenspiel mit Veit und Alex war auch wirklich super! Vor allem "Nobody's Side" war ein Highlight! Gefreut hab ich mich auch wieder darüber, Karin zu sehen. Wobei ich den Eindruck hatte, dass die Rolle von der Stimme her nicht ganz zu ihr passte. Ein paar Sachen wirkten sehr angestrengt gesungen. Aber bei dem Duett mit Roberta waren beide einfach hinreißend! Klasse fand ich auch Frank Bahrenberg, von dem ich davor noch nix gehört hatte. Aber man hat ihm den intriganten Kommunisten echt abgenommen und er hat eine wirklich coole Stimme!

Die Inszenierung war sehr an einem Schachspiel angelegt. Die Russen waren weiß gekleidet, die Amerikaner Schwarz. Nur Florence hatte ein rot-weißes Kleid und Trummer Jeans und eine rote Lederjacke. Aber das Outfit war nix gegen das des Arbiter. Jens war komplett in ein mega-futuristisches, silbernes Outfit mit orangem Bart gekleidet. Mit dem langen Mantel hatte er offenbar beim Schlussapplaus Probleme, als er rückwärts gehen sollte und versuchte, das Ding elegant vor jedem Schritt zurückzukicken, bis sich ein Herr aus dem Ensemble zum "Schleierträger" ernannt fühlte. Der Kontrast zu dem Schwarz-Weiß des ersten Aktes waren die extrem schrillen Outfits bei "One Night in Bangkok". Laut Jens' eigener Aussage sind mit der Kostümbildnerin bei seinem Kostüm etwas die Pferde durchgegangen, da die Figur ja sehr aggressiv und über alles erhaben wirken soll. Wie dem auch sei, es war ein absoluter Hingucker.
Das Bühnenbild bestand im Wesentlichen aus vier großen Bühnenteilen, die sich in Betten, Häuser, Büros, Panzer, Tempel etc verwandeln konnte, echt eine tolle Idee!
Richtig schön fand ich auch den extremen Wechsel zwischen lauten, schrillen Szenen und völlig ruhigen, zum Teil auch vollkommener Stille.

Nach der Vorstellung, bei deren Schlussapplaus sofort der ganze Saal aufsprang, war das Publikum noch zu einem Gespräch mit dem Ensemble eingeladen. Während wir auf die Darsteller warteten hatten wir schon die Möglichkeit, mit dem Dramaturgen und dem Dirigenten zu reden, was wirklich interessant war. Als die Darsteller dann kamen waren die stückgezogenen Fragen eher rar, da viele Fans von Roberta und Alex da waren und eigentlich nur darauf warteten, Autogramme zu bekommen, hatte ich den Eindruck. Als die Diskussion beendet war bekamen natürlich alle ihre Autogramme ^^ Jens ist jedoch dann mit meiner Bekannten und mir aus der Lounge verschwunden und wir haben uns in Ruhe noch draußen vor dem Theater unterhalten, was bei weitem angenehmer war, als in dem warmen, vollen Raum oben. Er hat ein bisschen von seinem Zweitprojekt "Curtains" in Coburg erzählt, einem Krimi-Musical, das am 5. November Premiere hat und das ich mich definitiv mehr als einmal anschauen werde (Krimi + Jens in der Hauptrolle + mit Stepptanz + von John Kander + in BAYERN!!!!!) :D

Alles in allem ein schöner Musicalabend und ich hab mich riesig gefreut, Jens mal wieder zu treffen. Und "Chess" kann ich wirklich wirklich empfehlen. Tolle Inszenierung!!

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Re: "Chess" in Bielefeld, 1. Oktober 2011

Beitragvon Tessa » 02.10.2011, 19:03:20

Einen sehr schönen Bericht hast du da geschrieben. :)
Jetzt habe ich endlich auch mal eine Vorstellung davon, um was es da überhaupt geht.
Eigentlich will ich es mir auch noch ansehen, die Termine liegen aber für mich etwas ungünstig.
Mal sehen...aber auf jeden Fall Danke für den Bericht. :)
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Re: "Chess" in Bielefeld, 1. Oktober 2011

Beitragvon Traumtaenzerin » 02.10.2011, 19:14:48

Danke für den tollen Bericht! (jetzt bin ich noch aufgeregter :D)
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