Beitragvon davetheking » 05.10.2016, 11:28:42
Schikaneder – Operette sich wer kann...
Der Inhalt des neuen VBW-Musicals ist ja überall nachzulesen, daher erspare ich mir hier eine Wiedergabe. Das Buch von Struppeck ist hier auch gleich das Hauptproblem des Musicals. Es schleppt sich teilweise unnütz dahin: der „Rückblenden-Trick“ am Beginn und die unendlich zu vielen Dialoge sowie die letzten 20 Minuten als Hindernisrennen der Wiedervereinigung von Eleonore und Emmanuel „packen“ die Zuschauer*innen eher nicht.
Musikalisch hat der Abend einiges zu bieten: Schwartz komponiert eine gefühlte Operette und erspart uns den „Wildhornschen-Pop-Ohrenschmalz“. Die Anklänge an die Wiener Klassik und deren Folgen gelingen wirklich virtuos. Allein beispielsweise ein Terzett im 2. Akt bereitet einfach viel Freude beim Zuhören. Die Partitur weist darüber hinaus eine große Einheitlichkeit im Klangbild auf. Cullens Orchestrierung unter der Leitung von Schoots ist wirklich sehr gelungen, es macht wirklich Spaß, mal wieder einem „richtigen“ Orchester zu zuhören und nicht immer diese Spar-Kapellen mit drei Musikern auf drei Keyboards.
Das Libretto leidet gelegentlich an zu vielen „Silben pro Note“. Michaels Kunzes Übersetzung ist überraschend humorvoll... Gelegentlich reimt sich „normal“ auf „total“, da wäre der Blick ins Reime-Lexikon vielleicht hilfreich gewesen.
Bühnenbild und Beleuchtung sind funktional und zugleich abwechslungsreich (alles dreht sich), die Kostüme etwas zu sehr auf Mantel- und Degenfilm gemacht.
Die Darsteller*innen-Riege überzeugt auf (fast) ganzer Linie:
Milica Jovanovic überzeugt gesanglich (mehr als auf den „Häppchen“ im Radio und TV). Ihre klassische Ausbildung überzeugt mich stimmlich auf ganzer Linie: „Mein Lied“ gerät am Ende zu einer großartigen (feministischen) Hymne der Selbstbestimmung. Schauspielerisch mag ich sie einfach gerne. Ich bemerke einfach, dass Sie viele Jahre auch Repertoire gespielt hat und daher erheblich nuancierter agieren kann, als eine En-suite-Darstellerin.
Mark Seibert ist stimmlich wirklich großartig. Ich bin gespannt, ob er dieses hohe Niveau durchhält oder ob er sich „verkrögert“ und seine Stimme verdirbt... Schauspielerisch ist er wirklich ein desaströser Hampelmann der den ganzen Abend mit insgesamt drei standardisierten Armbewegungen durchläuft. Seine Mimik bleibt ebenso Stereotyp. Zu Gute halten muss man Seibert aber auch, dass seine Rolle absolut eindimensional geschrieben ist.
Katie Hall hat mich wirklich „umgehauen“, ob ihrer gespielten Naivität und ihrer genialen Stimme. Hary Rudolz spielt seine „Doppelrolle“ mit großer Präsenz und großartiger Stimme.
Florian Peters spielt die (sehr undankbare) Rolle des Loosers wirklich voller Hingabe. Sein „Erstmal klein, aber fein“ rührt wirklich an. Für seinen Tod hätte es mehr kompositorischer Dramatik bedurft, so liegt quasi nur ein „Mann bei Musik“ im Bett...
Ich würde dieser Operette eine lange Spielzeit wünschen. Ich glaube aber nicht so recht daran, dass die Bus-Touristen aus den Bundesländern „Schikaneder“ als großartige Ausstattungs-Operette verstehen werden, vielmehr werden hier die „musicalischen“ Erwartungen vermutlich nicht erfüllt. Des Weiteren fehlt es in der Gesamtdramaturgie an Elementen, die die Zuschauer*innen emotional mitnehmen, so bleiben viele Figuren bloße Figuren, an denen man wenig Interesse entwickelt. Grade am Beginn wäre ein strafferes dramaturgisches Zupacken wichtig gewesen.